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Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks

Titel: Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Mundson
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und Kirche und Campanile.
    Ich bemerkte auch, und das kam mir ebenfalls seltsam vor, dass ich da in diesem stählernen Flugapparat saß, den Leonardo da Vinci sich erträumt hatte, als er sich mit an seinen Rücken geschnallten Flügeln von den Hügeln rund um Florenz stürzte. Gleich würde ich auf einem Flughafen landen, der sich, aus meiner Perspektive betrachtet, nur ein paar Zentimeter von den dicht gedrängten Häusern entfernt befand, unter deren Dächern Leonardo wahrscheinlich dereinst die Entwürfe zu seinem Flugapparat auf die Serviette in einer Trattoria skizzierte.
    Als Nächstes bemerkte ich, dass die Dinge auch in Italien viel reibungsärmer vonstattengingen als zwanzig Jahre zuvor. Die Automatisierung hatte auch vor diesem altehrwürdigen Land nicht Halt gemacht. So gibt es inzwischen überall Bankomaten, die Leute benutzen Handys und Laptops. Auf diese Weise können sie die allgemeine Genervtheit darüber, sich schmale Gässchen mit Vespas teilen zu müssen, nun wenigstens insofern abbauen, als sie einem Freund via telefonino
davon berichten. Das macht es zudem erträglicher, endlos in der Schlange zu warten, seinen ganzen Charme auszuspielen (in dem Wissen, dass man ohne ihn vielleicht gleich noch einmal anstehen muss und selbst dann sein verloren gegangenes Gepäck noch nicht quittiert bekommt). Es gibt zwar durchaus Regeln, aber eben auch mindestens ebenso viele Ausnahmen davon. Und die Sache mit dem Charme funktioniert. Das war das Nächste, was ich bemerkte und woran ich mich erinnerte: Charme.
    Verschwunden waren dagegen die papagalli , die einen im Vorbeigehen mit ihren eindeutig zweideutigen Avancen neckten. Nichts mehr mit Ciao, bella , also. Ich fragte einen Taxifahrer danach, und er erklärte mir unumwunden, dass die italienischen Frauen sich verändert hätten. Sie hätten dem Treiben ein Ende gemacht. So hat sich ein ganzes Phänomen verflüchtigt. Das macht die paar Schritte vom Bahnhof zum Taxi eindeutig angenehmer. (Auch wenn ich als 41-jährige, die ihren zwanzig Jahre alten Körper vermisst, zugeben muss, dass ich insgeheim doch ein klein wenig darauf gehofft hatte, öffentlich als attraktive Frau wahrgenommen zu werden. Aber sei’s drum.)
    Doch anstatt durch Anstößigkeiten unangenehm auf sich aufmerksam zu machen, waren die Italiener, wie meine Tochter es formulierte, »wie eine große Umarmung«. Ich hätte es nicht treffender ausdrücken können.
    Todmüde und ohne Gepäck kamen wir in Milano Malpensa an und begaben uns schon mit einer bangen Vorahnung zum Bahnhof Milano Centrale. Wir hatten bereits bezahlte Tickets für einen Expresszug, der, wie man uns sagte non esiste . Von allen Leuten, die uns begegneten – vom Panini-Verkäufer in dem Zug, den wir schließlich nahmen, über den Taxifahrer, der uns um Mitternacht zu unserem kleinen Hotel brachte, bis
hin zu dem alten Mann, der uns die vier Schlüssel erklärte, die wir brauchten, um in unser Zimmer zu gelangen – waren zwei kurz davor, uns ihre privaten Telefonnummern zu geben, nur für den Fall, dass wir Hilfe bräuchten. Die anderen taten genau das. Italien ist immer noch altmodisch. Und die Italiener sind immer noch wie eine herzliche, lange Umarmung. Un abbraccio . Was ja bereits andeutet, dass wir die Geste erwiderten.
    In knapp einem Monat Italien sammelte ich eine ganze Seite Kontaktadressen. Noch nie habe ich Visitenkarten schneller und mit weniger Zurückhaltung von Hand zu Hand gehen sehen als in diesem Juni in Italien. Ich besitze nun die E-Mail-Adressen eines bekannten Bildhauers, eines Kutschers, eines Taxifahrers in Mailand (weil er darauf beharrte, die beste Gelateria sei nicht in Florenz, sondern in seinem Viertel in Mailand, wo er uns sogar gratis hinfuhr, um es uns zu beweisen) … die E-Mail-Adresse eines Paares, das wir in einem Restaurant kennenlernten und das alles über Miami und Las Vegas erfahren wollte, kurz bevor wir uns über eine riesige, blutige bistecca fiorentina hermachten, zudem die eines italienischen Grafen, den ich bei einem Fest auf einem Weingut kennenlernte und der fasziniert von Grizzlybären war, dann die einer Dame aus Israel, der meine Schuhe gefielen, und von vielen anderen mehr.
    Außer dem Charme fiel mir noch der unübersehbare Stolz auf. Ein Stolz, der irgendwie viel weniger gebrochen wirkte, als ich es in Erinnerung gehabt hatte. Und zwar Stolz nicht nur auf die explosive Denkfabrik, die Italien vor rund fünfhundert Jahren gewesen ist. Vielmehr handelte es sich um

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