Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
Forte Belvedere im Gras, schaute über die Stadt und las Dante oder Machiavelli. Ich freundete mich sogar mit einem Priester an, der für Dantes Kirche zuständig war. Wir suchten sie abends gemeinsam auf, saßen in einer Kirchenbank und sprachen über Gesù Cristo.
Tagsüber klapperte ich meine Lieblingsplätze ab: die Uffizien, Orsanmichele, Santa Croce – wo ich an die Gebeine der vielen Berühmtheiten der Renaissance unter meinen Füßen denken musste. Am Abend kletterte ich über die Brüstung der Ponte Santa Trinità, saß auf einem der steinernen Vorsprünge
und schaute auf den Arno und den beleuchteten Ponte Vecchio. Mit einem fiasco aus Chianti trank ich auf meine Zukunft und gelobte, niemals ein mittelmäßiges Leben zu führen. Denn für den Rest meiner Tage würde ich den inspirierenden Funken der Renaissance in mir tragen.
Und tatsächlich reiste ich in die Türkei, nach Prag, Jugoslawien, nach Griechenland. Es würde zu weit führen, hier mehr davon zu erzählen. Und meine Gastfamilie war natürlich traumhaft (wie Sie auch im nächsten Kapitel noch erfahren werden).
Doch während das Jahr verging und ich mich auf die Rückkehr in die Welt einstellen musste, die ich so gern zurückgelassen hatte und ohne die ich so glücklich und frei hatte sein können – da begann mich der alte Horror wieder heimzusuchen. Genau gesehen, hatte ich wohl doch nur Glück gehabt. Eigentlich verdiente ich meine Gastfamilie gar nicht. Ihre Zuneigung zu mir wäre gar nicht echt, sondern vielmehr obligatorisch – immerhin wurden sie ja von der Schule bezahlt. Dass all meine Erlebnisse gar nichts Besonderes seien. Auch ich sei weder besonders individuell oder mutig, nur weil ich die Studentenverbindungs-Partys und BMWs zeitweilig zurückgelassen hatte. Und die intensive Beschäftigung mit den Schätzen der Renaissance garantiert eben auch keinen tollen ersten Job, wenn man gerade frisch vom College kommt, und verspricht auch nicht fest die persönliche Befreiung von repressiven Institutionen. Ich würde immer eine Rebellin sein, mich aber wohl nie wirklich befreien können.
Der Grund dafür war folgender: Egal, was meine Eltern, Geschwister und Großeltern letztlich über meine Entscheidungen für mein weiteres Leben dächten, ich wusste ja selbst noch nicht, wie ich mich dazu bringen sollte, alles abzustreifen. Selbst mit der Freiheit Italiens in meinem Herzen. Das
sollte noch weitere ein bis zwei Jahrzehnte dauern. Ich selbst war schon immer meine strengste Richterin.
Letztlich sollte erst Montana mich zu meiner Verteidigung inspirieren. Erst dort würde ich zu der Einsicht gelangen, dass es weder schlecht noch falsch wäre, zu dieser Reise aufzubrechen. Auch nicht gut oder richtig. Und das ist genau die Sorte Freiheit, die ich meine. Denn abgesehen von Italien ist Montana der einzige Ort, an dem ich mich je absolut frei gefühlt habe, an dem ich ganz ich selbst sein konnte. Huch, klingt pathetisch, ich weiß!
Aus irgendeinem Grund, der gar nichts mit der Realität zu tun hat, scheint es mir jedoch leichter, sich für geliebte Orte von einst zu öffnen – und Italien hat meiner Seele nun mal am besten getan. Es war fast, als würde sie dort auf mich warten, in einem Glockenturm verwahrt, bis ich sie holen käme. Das sagte ich mir wenigstens selbst. Dabei sind die Geschichten, die wir uns selbst erzählen und nach denen wir unser Leben ausrichten, meist sowieso unglaublich. Vielleicht kennen Sie das von sich selbst.
Hätten Sie mich erst vor kurzer Zeit kennengelernt und hätten wir dann Gelegenheit gehabt, ein wenig zu plaudern, dann hätten Sie wohl Folgendes erfahren: Ich habe einmal in Italien gelebt. In Florenz. Ein Jahr lang. Vor langer Zeit also. Ein Jahr lang schöpfte ich aus dem Vollen und überfraß mich geradezu, um mich anschließend einundzwanzig Jahre danach zu verzehren.
Typisch für dieses »Hungern« ist wohl, dass ich mich mit Italien wie mit einem schützenden Cape umgab, das allerdings weniger schützte als vielmehr verbarg. Ein Fantasiecape. Ein wahrhaftig großartiges. Wie von Prada. Und eingehüllt in diesen Zaubermantel schreibe ich tagtäglich an meinen Romanen. Ich reite darin. Und koche. Und bestelle den Garten.
Kurz gesagt: Ich tue alles, was mir und nur mir gehört. Doch in diesem Cape steckt auch eine Sehnsucht. Genau genommen besteht es aus feinster Seide und kaschmirgefütterter Sehnsucht.
Meine Therapeutin und mein Schriftstellerfreund haben recht: Es gibt einen Riesenunterschied
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