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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
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zu sehen als andere, aber es ist nicht viel. Bei meinem Verlobten haben die Karten gesagt, daß er besitzergreifend ist, aber ich wußte nicht, in welchem Maße und wie sich das äußert. Kennst du die Geschichte von dem gelben Buch der Weissagungen? Darin stand alles geschrieben, es gehörte einem König, der mit Hilfe des Buches alle Verbrechen aufklären konnte. Der König hatte eine Tochter, die er vor aller Welt versteckt hielt, weil er ahnte, daß ihre außergewöhnliche Schönheit ihr zum Verhängnis werden konnte. Die Dienerinnen der Prinzessin trauten sich nicht, ihren Aufenthaltsort zu verraten, weil das gelbe Buch sie entlarvt hätte.
    Ein Mann namens Tevne hob eine tiefe Grube aus und lockte eine der Dienerinnen hinein. Über der Grube entfachte er ein Feuer und stellte einen Kessel mit Wasser darauf. Dann nahm er ein Eisenrohr und führte es durch den Kessel, damit er mit der alten Frau unten in der Grube sprechen konnte. Und die Frau verriet ihm, wo die Prinzessin versteckt war. Tevne entführte die Königstochter, ergötzte sich an ihrer Schönheit, und schon bald überkreuzten die beiden die Beine. Der König befragte das gelbe Buch nach dem Verräter, und was sagte das Buch? Daß der Verräter ein Gesäß aus Erde, einen Körper aus Feuer, Lungen aus Wasser und ein eisernes Rohr als Stimme hätte. Da der König sich nicht erklären konnte, wer denn der Verräter gewesen war, verlor er sein Vertrauen in das gelbe Buch und verbrannte es. Verstehst du?
    Ich hatte genickt, aber jetzt machte ich mir natürlich wieder Gedanken, wer das sein könnte, den ich treffen würde. Es gab nicht viele Menschen, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte und die mir viel bedeuteten. Und ich konnte mir nicht vorstellen, einem von ihnen hier zu begegnen.
    Nachdem Oriana geduscht hatte, setzte ich mich auf den Rand der Badewanne und sah ihr zu, wie sie sich abtrocknete, vor den Spiegel stellte, eine Creme im Gesicht verteilte, eine andere auf ihren Ellenbogen, Fersen und Knien, wie sie sich die Wimpern tuschte. Ich sah ihr gerne im Badezimmer zu. Bisher hatte ich nur Frauen gekannt, denen es peinlich oder unangenehm war, sich in meiner Gegenwart zu pflegen. Ganz so, als würde ich dann hinter das Geheimnis ihrer Schönheit kommen und anfangen, mich zu langweilen. Es schien ihnen zu weit zu gehen. Man konnte Sex haben, doch sich im Bad zusehen zu lassen war zu intim.
    Oriana zog sich immer erst an, wenn sie im Badezimmer nichts mehr zu tun hatte. Es machte mich geil, und manchmal stellte ich mir vor, wie sie sich vorbeugte und am Waschbecken festhielt, während wir uns im Spiegel in die Augen sahen. Doch letztlich war es mir lieber, ihr bei der Morgentoilette zuzusehen.
    Wir frühstückten, packten unsere Sachen und fuhren ein letztes Mal mit dem gläsernen Aufzug. Als ich die Rechnung zahlte, machte Oriana ein gequältes Gesicht. Vielleicht suchte sie, wenn sie wollte, daß wir im voraus ein Zimmer buchten, nicht die Sicherheit, sondern war einfach nur geizig. Auch wenn wir nicht sonderlich viel hatten, über Geld machte ich mir keine Sorgen, es würde sich schon etwas ergeben.
    Nachdem wir unsere Taschen in das billigere Hotel gebracht hatten, spazierten wir ziellos durch die Stadt. Es gab eine Burg in der Nähe, die Oriana besichtigen wollte, und irgendeine Kirche, deren Fenster besonders schön oder alt oder bunt waren. Alleine hätte ich solche Gebäude kaum besichtigt, ich fand, daß es nicht solche Attraktionen waren, die eine Stadt ausmachten. Mir gefiel es, durch die Gegend zu laufen, mir Häuser, Geschäfte und Menschen anzusehen. Hier, in dieser Stadt, waren die Straßen sehr breit und großzügig angelegt, es gab riesige Altbauten, ein Geruch hing in der Luft, ein Geruch, als würden die Häuser noch den letzten Rest Winter ausschwitzen. Oriana war ganz begeistert von einem neueren Gebäude, dessen Stil sie an den Architekten Baller erinnerte. Ich hatte den Namen noch nie vorher gehört.
    Das Hoftor eines Hauses stand offen, und ich ging einfach hinein und trat durch einen kurzen Gang mit einer gewölbten Decke in den großen kopfsteinbepflasterten Innenhof, links und rechts standen Bäume. Es wirkte so friedlich, man konnte sich geborgen fühlen auf diesem riesigen Platz. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah mir die Balkone an, die mit einem einfachen Metallgitter umfriedet waren. Auf manchen waren Blumen, auf anderen hing Wäsche auf der Leine, auf einem saßen zwei Frauen in weiten Kleidern und

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