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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
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immer nur die Mythen interessiert, die meine älteste Schwester Martha uns erzählt hat. Dagegen war die Geschichte von Moses langweilig. Wenn Martha auf uns aufpassen mußte, las sie uns Geschichten vor, wie die Welt erschaffen wurde und welche Götter es gibt und was für Helden. Es schien mir wichtiger zu wissen, wo das Feuer herkam, als zuzuhören, wie dunkel es im Bauch eines Wals war. In den Mythen ging es oft ums Erwachsenwerden, ich habe geglaubt, daraus könnte ich mehr lernen. Eine Zeitlang habe ich natürlich alles durcheinandergebracht, aber ich denke gerne daran zurück, ich will meinen Kindern später auch so etwas erzählen. Ich konnte mir alles so gut vorstellen. Wie Viracocha, der Inka-Gott, die Menschen aus Lehm formte und ihnen die Kleider auf den Leib malte. Ich habs vor mir gesehen, es war schöner als die Version mit den Feigenblättern. Nie hab ich mir Abraham vorgestellt oder Noah oder Rapunzel oder Dornröschen, immer nur diese Götter, wie sie irgendwo zusammenleben. Ich habe zu Renenutet gebetet, der ägyptischen Göttin der Kinder. Das fand ich so toll, daß sie eine Göttin extra für Kinder hatten, da fühlte ich mich besser aufgehoben. Und später, wenn ich groß wäre, könnte ich zu den anderen Göttern wechseln. Als hätte ich eine Prüfung bestanden.
    Wir schwiegen, und ich wünschte mir, eines Tages ihre Familie kennenzulernen.
    – Und deine Mutter hat euch allen das Wahrsagen beigebracht?
    – Nur Martha, Viola und mir. Elena, unsere jüngste Schwester, wollte nicht.
    – Aber wieso ist deine katholische Mutter Wahrsagerin? Sie pfuscht doch Gott ins Handwerk. Eines jeden Wege liegen offen vor dem Herrn, und du sollst nicht mit ihm wetteifern. Und keinem wird sein Leben verlängert noch verringert, ohne daß es in einem Buch stünde. Keiner kennt sein Schicksal.
    – Wir pfuschen ihm nicht ins Handwerk, wir lüften nur den Schleier ein Stück. Die Maya glaubten, daß die Götter die Menschen aus Mais erschaffen haben, aber es gab ein Problem: Sie waren zu gut gelungen, waren erleuchtet wie die Götter, sie wußten, was, wann, wo im Universum geschah und warum. Also legten ihnen die Götter Schuppen auf die Augen. Und seitdem wollen die Menschen jemanden, der für sie auf den Grund sieht. Und bei uns liegt das in der Familie, meine Urgroßmutter war schon Wahrsagerin. Aus Dörfern, die zwei Tagesreisen entfernt waren, kamen sie, um sich von ihr die Karten legen zu lassen.
    Wir waren zum Fluß geschlendert, nun setzten wir uns auf eine Bank, es wurde langsam Abend, und wir sahen zu, wie die Sonne ihre Farben änderte. Eine junge Frau mit einem kurzen Rock und einem engen T-Shirt mit tiefem V-Ausschnitt ging an uns vorbei, große Brüste, Nylonstrümpfe, Stöckelschuhe, alles betont sexy, ohne billig oder schlampig zu wirken.
    – Ist dir das auch schon aufgefallen, wie die Frauen hier rumlaufen? fragte Oriana.
    – Ist Stevie Wonder eigentlich blind, oder warum wackelt der immer so mit dem Kopf?
    Den ganzen Tag hatte ich geguckt, es gab überdurchschnittlich viele vollbusige Frauen, aber das hätte mich kaltgelassen, wenn sie nicht trotz der Hitze Nylons angehabt hätten, hochhackige Schuhe, knappe Kleider, fast keine, die nicht versuchte, ihre Reize zur Geltung zu bringen. Die Spielart des Feminismus, bei der man glaubte, sich in Kartoffelsäcke hüllen zu müssen, damit man den Chauvinisten zeigte, wo es langgeht, hatte sich hier noch nicht durchgesetzt.
    Sicher, es war bequemer in Turnschuhen oder Sandalen rumzulaufen, sicher wollte ich eine Frau an meiner Seite, die durchaus mal vierzehn Schritte hinter einem Bus herlaufen konnte, aber es war aufregend, wie diese Absätze den Gang veränderten, wie das Becken kippte und die Frauen aussahen, als wären sie bereit, sich vornüber zu beugen, als wären die Absätze Bestandteil eines modernen Fruchtbarkeitsrituals.
    – Ein Traumland für Nylonfetischisten, treibt die Fans von Strapsen erst auf die Straßen, dann in die Klapsen, wo Masturbisten auf Kisten sitzen und im hohen Bogen auf die Schwestern spritzen, sich die Stange reiben mit den Gedanken bei langen Beinen, zwischen denen sie gefangen bleiben.
    – Das war nicht so schön, sagte Oriana. Erregt dich das eigentlich?
    – Das Rappen?
    – Die Strumpfhosen.
    – Ja.Ein Wind kam auf, eine willkommene Abkühlung, die wir genossen. Es dauerte einige Zeit, bis wir uns entschließen konnten, aufzustehen und uns auf den Weg ins Hotel zu machen. Wir wollten noch duschen, bevor wir

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