Ein Spiel, das die Götter sich leisten
existiert. Was man sah, war einfach zu real, zu nah an etwas, das nichts mehr mit der eigenen Persönlichkeit zu tun hatte, das tiefer lag. Etwas fernab von allen Gewohnheiten und Mustern, nach denen man sonst die äußeren und inneren Dinge wahrnahm, eine Welt, die man betrat wie ein Besucher, und für eine kurze Zeit wußte man, was Unsterblichkeit ist und was die Ewigkeit. Für eine nach der Uhr kurze Zeit wußte man, daß man nicht allein war, man existierte nicht mehr in seinem Körper oder Kopf, man vergaß alles und war Teil der Welt. Ich stellte es mir sehr schön vor, sich ohne Pilze und ohne Vorwarnung plötzlich auf der anderen Seite wiederzufinden, ohne den Schleier vor Augen.
Es war mittlerweile Mittag, Schilder am Wegrand kündigten ein Restaurant an, und kurz darauf hielt Lenka an einem kleinen Holzhaus mit einer überdachten Veranda, auf der Tische und Bänke standen.
– Habt ihr auch Hunger? fragte sie.
Ich sagte: Nein, und Oriana sagte: Wir haben überhaupt kein Geld mehr.
Lenka hielt inne, die Linke schon am Türgriff, sah Oriana an, dann mich, dann wieder Oriana und sagte:
– Seid meine Gäste. Bitte.
– Tausend Dank, murmelte ich und wußte nicht so recht, ob ich mich freuen sollte. Ich hätte nie gesagt, daß wir kein Geld mehr hatten, ich hätte sogar behauptet, keinen Durst zu haben.
Draußen sah ich, daß Lenka die ganze Zeit über barfuß gefahren sein mußte, sie schlüpfte in ein Paar billige Schlappen, die mit bunten Plastikperlen verziert waren. Mir fiel auf, daß sie nicht zu schwitzen schien, während mir mein T-Shirt am Rücken klebte und Orianas Gesicht feucht glänzte. Wir setzten uns an einen Tisch, und ein dürrer Mann mit fleckigen Hosen, die ihm viel zu groß waren und von einem Gürtel gehalten wurden, kam sofort mit einer Karaffe Eiswasser und fragte, ob wir Huhn oder Fisch wollten. Das war die Auswahl. Oriana und ich bestellten Huhn, Lenka Fisch. Ich fühlte mich nicht ganz behaglich bei dem Gedanken, daß sie mehr für uns ausgeben würde als für sich, doch Oriana beugte sich zu mir rüber und flüsterte: Stell dich nicht so an, sie will dir etwas schenken.
Das Hähnchen war knusprig braun, dazu gab es Reis mit roten Bohnen und eine scharfe, dunkelrote, dicke Sauce. Der Fisch mußte groß und rundlich gewesen sein, man hatte ihn in Scheiben geschnitten, die ein wenig aussahen wie Lammrücken. Auch dazu gab es Reis und Bohnen und einen großen Klecks dunkelrote Tunke. Ich schwitzte noch mehr, während ich kaute, aber ich rief den Kellner und ließ mir noch etwas mehr von dieser scharfen Sauce bringen, sie schmeckte vorzüglich, ganz im Gegensatz zu dem Rest, der jeglichen Geschmack schon verloren hatte.
– Vielen Dank, sagte ich, als Lenka bezahlte, mögen die Götter dich mit Wohlstand segnen.
Das hörte sich altbacken und steif an, aber ich wußte nicht, wie man das anders ausdrücken konnte. Es hörte sich obsolet an, weil man sich solche Dinge nicht mehr gegenseitig wünschte. Womöglich hatte man es in dieser Sprache auch noch nie getan, man verstand es ja nicht mal, richtig zu fluchen, man schimpfte nur, Arschloch, Kamel, Popoficker, Schwuchtel, Schlampe, Schwachkopf, dumme Kuh, oder man wünschte sich gerade mal zur Hölle. Niemand sagte: Verflucht sollst du sein bis ans Ende deiner Tage. Verflucht soll deine ganze Sippe sein. Möge dir der Schwanz abfaulen. Magst du blind, taub, einsam und heimatlos enden.
Zwei Stunden später waren wir an der Küste, Lenka setzte uns nahe einer Einkaufsstraße ab. Als wir ihr hinterher blickten, sagte Oriana:
– Ich hatte gehofft, sie würde uns anbieten, uns etwas Geld zu leihen.
Nachdem wir ein wenig im Zentrum herumgegangen waren, entschied ich mich für einen Platz vor dem Postamt. Es gab mehrere Ständer mit Postkarten davor, es herrschte ein reger Verkehr von Leuten, die Urlaubsgrüße loswerden wollten. Ich nahm vier, fünf Stücke Haschisch und legte sie auf den Reifen eines Jeeps, der neben dem Postamt parkte. Dann gab ich Oriana meine Tasche, und sie ging damit zu einem Schließfach am Bahnhof. Sie war nervös, aber nicht so sehr, wie ich befürchtet hatte. Ich hatte ihr erklärt, wie ich es anstellen wollte und wie gering das Risiko war, doch ich hatte damit gerechnet, daß es sie kaum beruhigen würde und wir Streit bekämen.
Ich stand im Schatten und wartete ab. Natürlich gab es fünfzigjährige Familienväter, die kifften, und jede Menge alternder Friseurinnen, die auch nichts anderes im
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