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Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Ein Spiel, das die Götter sich leisten

Titel: Ein Spiel, das die Götter sich leisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selim Özdogan
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er tickt.
    Oriana zog kurz die Stirn in Falten.
    – Vielleicht ist er jemand, der sich lange Zeit gewünscht hat, gut zu den Menschen zu sein. Irgendwann hat er angefangen, sich selbst und die anderen zu hassen, weil er es unmöglich fand, solche Kreaturen zu lieben. Er hat vergeblich versucht, das Böse in sich zu besiegen, er wollte die Liebe in sein Herz zwingen, doch das geht nicht. Und jetzt, wo er alt ist, hat er aufgegeben. Er mochte Oktay, weil er in ihm etwas gesehen hat, das ihm selbst fehlt.
    – Und wieso nennst du ihn einen Idioten, wenn du so viel Verständnis für ihn hast?
    – Weil ich ihn nicht mochte. Er hatte keinen Stil, keine Manieren.
    Wir gingen die Straße runter Richtung Stadt, ich wünschte, es würde ein Auto vorbeikommen und uns mitnehmen, langsam bekam ich Hunger, und der Gedanke, den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen, schreckte mich.
    – Sieh mal, da vorne, sagte Oriana, nachdem wir ein gutes Stück gegangen waren, und deutete auf einen kleinen Fluß, der leise hinter den Bäumen dahinplätscherte.
    Es erinnerte mich an den Fluß, den wir aus dem Zugfenster gesehen hatten, ein klares, ruhiges Wasser, dem wir ein wenig in den Wald hinein folgten. Ein Wunsch, der in Erfüllung ging. Wir hielten unsere Hände ins Naß, wuschen uns das Gesicht, hörten die Vögel zwitschern. Wir legten uns nebeneinander auf den Rücken und betrachteten das Licht, das durch die Äste fiel, wir atmeten im gleichen Rhythmus, leise, fast schon vorsichtig, als könne ein falscher Laut alles zerstören. Wenn das nicht schön war, was dann.
    Wir bauten einen Staudamm, und während wir zusahen, wie die Blätter auf dem Wasser trudelten, sangen wir zusammen ein Lied. Song with no name. Ich summte nur leise mit und hörte Oriana lieber zu, half ihr mit dem Text, wenn sie ins Stocken zu geraten drohte. Wir setzten uns ins Moos und genossen den Schatten.
    Schließlich gingen wir noch ein Stück in den Wald hinein, bis wir zu einer kleinen Lichtung kamen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es außer uns beiden noch Menschen gab auf der Welt. Ich zog mein T-Shirt über den Kopf und hängte es an einen Ast, dann zog ich die Schuhe aus, die Hose, die Unterhose. Ich breitete die Arme aus, schaute nach oben, atmete tief ein. So angenehm unbekleidet hatte ich mich am FKK-Strand nicht gefühlt, das hier war wie nackt schwimmen. Aus lauter Übermut machte ich einen Handstand. Als ich wieder auf den Füßen war, war auch Oriana nackt, keine Ahnung, wie sie das so schnell geschafft hatte.
    Wir pflückten Blumen und klebten uns dann mit Spucke Blütenblätter auf die Stellen, die wir berühren wollten. Ein Blatt an ihrem Hals, eins auf meiner Schulter, eins hinter ihrem Ohr, eins an der Innenseite meines Oberarms, eins auf ihrer Brust, doch das konnte den dunklen Kreis nicht überdecken, ein weiteres auf meiner Brust, eins auf ihrer Hüfte, eins an meinem Nabel, eins auf ihrer Armbeuge, drei auf ihrem Rücken, zwei auf ihren Füßen, eins auf ihrem Hintern, eins an meinem Nacken. Als ihre Hand sich meinem Schwanz näherte, hörten wir auf mit den Blütenblättern.
    Wir verschwinden aus der Welt der Häuser, der Arbeit, der Beziehungen, wir verschwinden aus der Welt der Menschen. Es ist wie ein Faden, der reißt, und dann sind wir frei. Wir können sein wie das Mondlicht auf den Wellen, wie eine Kiefer, die dem Wind lauscht, das Quaken eines Frosches, ein Kiesel, der in einen stillen Teich fällt.
    Wir träumten, aufzuwachen wie von der Sonne verdunstete Pfützen.
     
    Ich wurde wach, weil mir kalt war, es war schon früher Abend, Oriana saß auf einem großen Stein, auf den sie als Unterlage ihr Kleid gelegt hatte.
    – Was machst du?
    – Ich habe durch die Äste geblinzelt.
    – Bist du schon lange wach?
    – Zehn Minuten?
    Sie fröstelte. Worte halfen mir manchmal, Situationen festzuhalten, ich konnte mir Bewegungen und die feinen Veränderungen der Gefühle besser merken, wenn ich mir ins Gedächtnis rief, was ich gesagt oder gehört hatte, als ich glücklich war. Ein Akt schwand dahin, aber nicht die Worte der Begierde.
    – Das war gerade, setzte ich an.
    – Pssst, sagte Oriana, und sie hatte recht.
     
    Etwa eine Stunde später waren wir in der Stadt, saßen in einem kleinen asiatischen Restaurant, bestellten Sauerscharf-Suppe, Nestnudeln und Ingwerlimonade mit Eiswürfeln. Ich dankte den Göttern, als unsere Teller leer waren. Mein Hunger war gestillt, mein Durst gelöscht, mein Herz weit und weich, mein Körper

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