Ein Spiel um Macht und Liebe
vermißte sie die solide Sicherheit ihrer früheren Existenz. Sie hatte zwar immer leichte Zweifel verspürt, ob das Leben nicht doch mehr zu bieten hatte, diese aber meistens ignorieren können. Dann hatte sie Nicholas kennengelernt, und das, was sie für ein sicheres Bollwerk gehalten hatte, war eingestürzt, als wäre es auf Sand gebaut gewesen. Seitdem waren ihre Nerven durch ständige neue Eindrücke, durch immer neue Veränderungen strapaziert worden.
Doch obwohl sie schließlich zugegeben hatte, daß sie eine heuchlerische, schlechte Christin war, konnte sie doch ihre Moralvorstellungen nicht gänzlich verwerfen. Tief in ihrem Herzen war sie davon überzeugt, daß es nicht recht sein konnte, Nicholas’ Geliebte zu werden. Wenn sie sich ihm nur hingab, um ihre Lust zu befriedigen, würde sie sich ein ganzes Leben lang dafür verachten.
Und von einer ganz nüchternen Warte aus betrachtet mußte sie eine Närrin sein, wenn sie sich mit einem Mann einließ, der sie weder lieben noch heiraten würde.
Vielleicht war diese ganze Diskussion um Geliebte oder Nicht-Geliebte nun ohnehin nicht mehr relevant. Auch wenn Nicholas nach diesem Fiasko erstaunlich zärtlich gewesen war, so konnte sie sich dennoch nicht vorstellen, daß er sie noch länger in seiner Gesellschaft würde haben wollen.
Das könnte immerhin bedeuten, daß Clare zumindest eins ihrer früheren Ziele erreicht hatte: Vielleicht würde er sie nun aus freien Stücken nach Hause schicken.
Aber in diesem Fall wäre ein Sieg kein Triumph.
Mit einem Seufzen, schwang sie die Beine von der Fensterbank und ging ins Bett. Sie konnte den Ausgang des Abends nicht mehr ändern, und es war viel zu früh, als daß sie jetzt schon erkennen konnte, welche Art Frau sich offenbaren würde, nun, da sie sich nicht mehr hinter einer sorgsam aufrechterhaltenen Fassade verstecken mußte.
Viel dringlicher war es nun, ihrem müden Geist eine Lösung abzuringen, wie sie Nicholas morgen früh unter die Augen treten sollte.
Nicholas mußte aus geschäftlichen Gründen früh das Haus verlassen, wofür er sehr dankbar war.
Es war schwer, sich zu vergegenwärtigen, daß erst eine kurze Zeit vergangen war, seit Clare in sein Leben gewirbelt war. Sie beide schienen Probleme, die ein ganzes Leben füllen könnten, in wenige Wochen quetschen zu wollen. Die Nacht zuvor hatte sich ihre Beziehung verändert, und er hatte keine Ahnung, was als nächstes kommen mochte. Er begehrte sie mehr denn je, doch ihr Fast-Zusammenbruch war für ihn genauso quälend gewesen wie für sie.
Als er das Geschäftliche erledigt hatte, überlegte er kurz, in einem sehr diskreten, sehr teuren Etablissement vorbeizuschauen, dessen Mädchen warm und willig waren. Doch fast augenblicklich verwarf er den Gedanken; mit einer Fremden zu schlafen, würde sein Verlangen nach Clare nicht auslöschen und sein Gefühl der Einsamkeit eher noch vertiefen.
Sein Haus befand sich in der Nähe des Hyde Park, und Clare ging oft zu dieser Stunde spazieren, und so entschloß er sich, diesen Weg nach Hause zu nehmen. Da es ein naßkalter Tag war, war im Park wenig Betrieb, und bald schon machte er Clare und ihre getreue Zofe aus, die ihr brav folgte.
Er übergab seinem Diener die Zügel mit der Order, nach Hause zu reiten, und entließ das Mädchen mit einer Geste. Als er sich Clares Schritt anpaßte, warf sie ihm einen Blick zu, der zeigte, daß sie nicht überrascht war. Sie trug ihre schlichtesten Kleider, und unter ihren Augen waren Schatten zu sehen, aber sie hatte ihre gewohnte Fassung wiedererlangt.
»Du hast ein bemerkenswertes Talent, lautlos zu verschwinden und wieder aufzutauchen«, sagte sie. »Wie eine Katze.«
Er zog ihre Hand unter seinen Ellenbogen, und sie schlenderten zu dem kleinen See, der die Serpentine genannt wurde. »Ich bin schon froh, daß du überhaupt mit mir sprichst.«
Sie seufzte und blickte zur Seite. »Ich habe keinen Grund, wütend auf dich zu sein. Alles, was geschehen ist, ist meinem Eigensinn und meinem schlechten Urteilsvermögen zuzuschreiben.«
»Vielleicht hältst du dich nicht für eine gute Christin, aber ganz gewiß bist du eine Meisterin darin, dich mit Schuldgefühlen zu quälen.«
Ihr Kopf fuhr herum, und sie sah ihn indigniert an. »Lieber das, als gar kein Gewissen zu haben, wie eine gewisse Person, die mir bekannt ist.« Er tätschelte ihre Hand in seiner Armbeuge. »Gut.
Ich mag es viel lieber, wenn du mich anfauchst.
Das ist wenigstens die normale Clare.«
Sie
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