Ein Spiel um Macht und Liebe
vielleicht mehr Zeit für mich haben würde, wenn ich sein Leben so leicht wie möglich gestaltete.
Aber das traf nie ein.«
Sie verzog den Mund. »Als du mir sagtest, wie er dir geholfen hat, als du nach Aberdare kamst, da war ich richtig eifersüchtig, weil du damals mehr von seiner Zeit bekommen hast als ich. Kein sehr großzügiges Denken, nicht wahr?«
»Es ist nur allzu menschlich, sich die Liebe der Eltern zu wünschen. Vielleicht kommen wir über einen Mangel daran nie hinweg.«
»Ich weiß auch gar nicht, warum ich dir das erzähle«, sagte sie kläglich, während ihre Nägel sich in ihre Handflächen bohrten. »Deine Familie war viel schlimmer als meine. Zumindest hat mein Vater mich nie verkauft oder mir gesagt, er wünschte sich lieber ein anderes Mädchen als Tochter. Denn wenn ihm einfiel, daß ich da war, dann dankte er mir immer sehr höflich, daß ich mich so gut um ihn kümmerte.«
»Es ist kein Problem, jemanden zu verabscheuen, der einen offen verraten hat«, bemerkte Nicholas.
»Ich könnte mir denken, daß es viel zersetzender und schmerzlicher ist, einem selbstlosen Heiligen zu grollen, denn sein Verrat geschieht auf viel subtilere Art. Zudem scheint ja jeder in deinem Dorf zu glauben, du müßtest ebenso selbstlos und heilig sein wie er.«
Er begriff einfach zu viel. Wütend wischte sie sich die Tränen aus den Augen. »Aber ich bin keine Heilige. Auch wenn ich immer gerne gegeben habe, wollte ich auch immer etwas als Gegenleistung dafür, und niemals bin ich darüber hinweggekommen, daß ich es nicht bekommen habe. Ich bin selbstsüchtig und gierig, und ich verdiene es, aus der Gemeinde ausgestoßen zu werden.«
»Wieso hast du dich als Betrügerin bezeichnet?«
Sie starrte auf ihre Hände, die fest ineinander verschränkt waren. »Meine Religion basiert auf der direkten Erfahrung der Wesenheit Gottes –
das Erkennen. In den Anfängen des Methodismus’
befragte John Wesley persönlich angehende Mitglieder, um sicherzustellen, daß ihr Glaube und ihre Erfahrungen echt waren. Wenn man das mit mir gemacht hätte, dann wäre ich gescheitert, denn ich habe niemals – nicht ein einziges Mal! –
das Gefühl göttlicher Präsenz erfahren. Bei anderen habe ich es schon erlebt – manchmal, wenn ich gerade mit meinem Vater sprach, hörte er plötzlich nicht mehr zu, sondern blickte entrückt in die Ferne, als der Geist des Glaubens ihn durchströmte.« Ihre Stimme brach. »Auch darauf war ich neidisch. Als ich noch jünger war, betete ich jeden Abend zu Gott, daß er mir wenigstens für einen Augenblick diese Verbindung zum Heiligen Geist zugestehen würde. Aber auch wenn mein Verstand glaubte, so war mein Herz doch leer.
Die schreckliche Ironie der Sache ist, daß die anderen Leute von meinen intensiven Gebeten erfuhren und mich in der Folge für ausgesprochen fromm hielten. Als ich eine Leiterrolle in der Gemeinde ablehnte, wurde allgemein
angenommen, ich wäre nur zu bescheiden dafür.
Ich hätte die Wahrheit sagen sollen, aber es war einfacher, vorzugeben, daß ich das war, wofür die anderen mich hielten. Mein selbstloses Verhalten gab mir das Gefühl, wirklich jemand zu sein. Aber seit ich dich kennengelernt habe, sind all meine Vorwände nichtig, meine Masken weggerissen worden. Ich habe nichts mehr. Ich bin überhaupt kein richtiger Mensch mehr.«
Sie hatte gar nicht bemerkt, daß er aufgestanden war und das Zimmer durchquert hatte, bis er sanft ihr Haar berührte. »Für mich bist du sehr wohl jemand, Clare, auch wenn du nicht die Frau bist, für die du dich gehalten hast.« Seine Hand glitt zu ihrem Nacken und begann dort, ihre verspannten Muskeln zu massieren. »Es wird einige Zeit dauern, bis du erkennst, wer du wirklich bist. Das Alte muß zerstört werden, damit Platz für Neues geschaffen werden kann, und dieser Prozeß ist schmerzlich und nicht einfach.
Wenn du auch auf lange Sicht glücklicher sein wirst, tut es mir trotzdem leid, daß ich auf diese Art und Weise dazu beigetragen habe, diese Art von Erwachen auszulösen. Es hört sich vielleicht verrückt an, aber obwohl ich in Kauf genommen hätte, dich zu ruinieren, wollte ich dir niemals wehtun.«
Sie legte ihre Wange in seine Hand. Was für ein seltsames Gespräch. Statt Zorn schienen sie beide nur noch tiefe Resignation zu empfinden. »Es ist nicht deine Schuld, Nicholas. Nichts, was du getan hast, könnte so schlimm sein als das, was ich mir selbst angetan habe. Und ich schäme mich entsetzlich für das,
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