Ein Spiel um Macht und Liebe
was ich gesehen habe, waren Pfauen, und die sind immer schon dagewesen.«
Clare schob die Zettel zu einem Stapel zusammen und reichte sie ihrer Freundin.
Marged verstand den Wink, daß es Zeit zu gehen war, und stand auf. »Du kommst aber doch trotzdem zu unseren Gruppentreffen, nicht wahr?«
»Natürlich.« Clare zögerte. »Das heißt, wenn ich kann. Lord Aberdare sagte irgend etwas davon, daß wir nach London fahren wollten.«
Die Augenbrauen ihrer Freundin schnellten hoch.
»Wirklich? Aber doch nicht mit einer Haushälterin!«
»Wohl aber, wenn ich als Sekretärin für ihn arbeite«, erwiderte Clare, die sich mit Unbehagen bewußt war, daß ihre Antwort alles andere als ehrlich war. »Wir werden sehen.«
Marged wurde wieder ernst. »Sei vorsichtig, was Old Nick betrifft, Clare. Er kann gefährlich werden.«
»Das bezweifle ich. Lord Aberdare ist viel zu arrogant, um eine Frau zu bedrängen, die nicht willig ist.«
»Das ist es nicht, was mir Sorgen macht«, meinte Marged finster. »Die Gefahr liegt darin, daß du willig sein könntest.« Mit dieser ominösen Bemerkung ging sie. Clare war erleichtert.
Sie brauchte nicht lange, um die paar Habseligkeiten einzupacken, die sie nach Aberdare mitnehmen wollte, und etwas anderes gab es nicht mehr zu tun. Zu unruhig, um einschlafen zu können, wanderte sie durch die vier Zimmer des Hauses und berührte hier und da vertraute Dinge. Sie war unter diesem Dach geboren worden und hatte nie woanders gelebt.
Die kleinste Kammer in Aberdare war größer als ihr Wohnzimmer, aber sie würde die getünchten Wände und das schlichte, robuste Mobiliar vermissen.
Leicht ließ sie ihre Fingerspitzen über den Deckel der Eichentruhe gleiten, die vom Alter dunkel geworden war. Wie schade war es doch, daß sie wahrscheinlich nie eine Tochter haben würde, der sie diese Truhe vererben konnte, die schon seit Generationen von den Frauen ihrer Familie an ihre Töchter weitergegeben wurde. Im Deckelinneren war ›Angharad 1591‹ eingeschnitzt. Manchmal überlegte Clare, wie das Leben damals wohl ausgesehen haben mochte. Wahrscheinlich war Angharad die Tochter und die Frau eines Kleinbauern gewesen, der seinem Stück Land mühsam ihren Lebensunterhalt abgerungen hatte.
Aber wie war ihr Mann gewesen? Wie viele Kinder hatte sie geboren? Ob sie glücklich gewesen war?
Das überquellende Bücherregal an einer Stirnwand des Wohnzimmers war der einzige Luxus, den es in diesem Haus je gegeben hatte.
Thomas Morgan entstammte niederem
walisischem Adel, hatte in Oxford studiert und war zum anglikanischen Vikar geweiht worden.
Als er John Wesley predigen gehört hatte, war er zutiefst berührt gewesen und sofort selbst zum Methodismus übergetreten. Natürlich hatte ihn seine streng konservative Familie enterbt, doch er hatte seinen Entschluß niemals bereut. Statt dessen hatte er die fromme Tochter eines Kleinbauern geheiratet und sich in Penreith niedergelassen, wo er das lehrte und predigte, was sein eigenes Leben erleuchtet hatte.
Thomas hatte seine Freude am Lernen niemals verloren, und er hatte sie an seine Tochter weitergegeben. Wann immer er auf Reisen ging, um zu predigen, hatte er versucht, ein nicht zu teures Buch aus zweiter Hand zu erstehen, und er war sehr oft unterwegs gewesen. Clare hatte jedes Buch im Haus gelesen, viele davon mehr als einmal.
Clares Mutter war vor zwölf Jahren gestorben.
Reverend Morgan hatte vorgeschlagen, daß seine vierzehnjährige Tochter bei anderen Methodistenfamilien unterkam, solange er unterwegs war, aber Clare hatte sich schlichtweg geweigert – das einzige Mal, daß sie sich gegen ihren Vater aufgelehnt hatte. Schließlich mußte ihr Vater sich ihrem Willen beugen, tat es jedoch nur unter der Bedingung, daß Mitglieder der Gemeinde ein Auge auf sie hielten.
Clare hatte ihren ersten inoffiziellen Unterricht gegeben, als sie siebzehn gewesen war. Sie hatte erwachsenen Frauen Lesen und Schreiben beigebracht. Vier Jahre später hatte Emily, die junge, zweite Countess of Aberdare, eine Stiftung zur Gründung einer Schule eingerichtet. Dutzende von Dorfbewohnern hatten hart gearbeitet, um eine verlassene Scheune dafür herzurichten.
Obwohl Lehrer meistens männlich waren, war Clare durch ihre Erfahrung die logische Wahl für die neue Schule gewesen, und seitdem hatte sie dort unterrichtet. Die zwanzig Pfund pro Jahr, die sie verdiente, würden sie niemals reich machen, aber sie genügten.
Es hatte erst ein Nicholas Davies kommen müssen, um
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