Ein Spiel um Macht und Liebe
Gesicht, den sie noch nie zuvor an ihm gesehen hatte; es war nicht mehr die Verzweiflung der Nacht zuvor, nicht die Wut, die sie schon ein paarmal erlebt hatte. Ganz bestimmt nicht die spielerische Offenheit die sie an ihm so liebte. Statt dessen wirkte er entschlossen? Resigniert? Er kam ihr fast wie ein Fremder vor, und es war ein wenig beängstigend.
Zögernd fragte sie: »Wie fühlst du dich?«
Er zuckte die Schultern. »Nicht weniger schuldig, aber auch nicht mehr am Boden zerstört. Ich werde es überleben.« Sein Blick wanderte über sie. »Für die ruinierte Tochter eines Predigers wirkst du bemerkenswert gelassen.«
Erst jetzt fiel ihr ein, daß sie außer ihrem langen Haar nichts zum Bedecken hatte, und so zog sie hastig das Laken hinauf.
»Es ist ein bißchen spät für Schamgefühle.«
Trotzig ließ sie das Laken wieder bis zur Taille fallen und warf ihr Haar über die Schulter zurück.
Seine kühle Distanziertheit ließ augenblicklich nach, und seine Atmung beschleunigte sich. Mit deutlicher Mühe fixierte er seinen Blick auf ihr Gesicht. »Offenbar müssen wir heiraten, und je eher, desto besser. Ich werde heute noch in London eine Sondergenehmigung anfordern.«
Ihre Gelassenheit war wie weggeblasen, und sie blickte ihn mit offenem Mund an. »Heiraten?
Wovon redest du?«
»Ich dachte, das ist deutlich«, erwiderte er kühl.
»Eine legale Verbindung. Ehemann und Ehefrau.
Bis daß der Tod uns scheidet.«
Mochte ihre Seele auch wiedergeboren sein, ihr Geist ließ sich genauso leicht verwirren wie eh und je. »W… was?« stammelte sie. »Du hast doch geschworen, daß du niemals mehr heiraten wirst.
Wieso in aller Welt willst du jetzt mich?«
»Aus einem ganz simplen Grund – du könntest schwanger sein.«
Unbarmherzig unterdrückte sie das
Freudengefühl, das sie durchzuckte. »Du hast mir doch gesagt, man kann so etwas verhindern.«
»Kann man, aber ich habe gestern nacht nicht daran gedacht«, antwortete er trocken.
»Nun, es ist wohl möglich, daß ich schwanger bin«, gab sie zu, »aber wenn ich es nachrechne, eher nicht. Wir sollten besser abwarten, als überstürzt einen Entschluß zu fassen, den du bald bereuen wirst.«
»Es kann Wochen dauern, bevor du etwas sicher weißt.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Willst du eines der berüchtigten ›Sieben-Monats-Kinder‹
riskieren, so daß jeder in Penreith weiß, daß du heiraten mußtest? Als Jungfrau war dein Gewissen rein, und du konntest die Kraft aufbringen, auch den Leuten gegenüberzutreten, die das Schlimmste von dir angenommen haben. Nun bist du aber keine Jungfrau mehr – ich habe dich verletzbar gemacht, und es gibt nur eine Möglichkeit, wie ich es wiedergutmachen kann.«
Sie schwieg. Obwohl sie keine Reue empfand, daß sie ihm mit ihrem Körper Trost gespendet hatte, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, daß dieser wundervolle Akt durch Klatsch in den Schmutz gezogen würde. Schließlich fragte sie:
»Warum hast du dich denn bisher so gegen das Heiraten gesträubt?«
Seine Lippen preßten sich zusammen, und er schaute wieder aus dem Fenster, so daß sie nur sein Profil sah. »Das große Ziel des alten Earls war die Fortführung der Linie der Aberdare.
Dadurch, daß ich mich weigerte, einen legitimen Erben zu zeugen, konnte ich mich an ihm über seinen Tod hinaus rächen. Da es ihm aber inzwischen vollkommen egal sein dürfte, ob es einen sechsten Earl of Aberdare gibt, war es eine kindische Art von Rache, aber die einzige, die in meiner Macht gestanden hat.«
Er wandte sich ihr wieder zu, doch die Morgensonne stand nun hinter ihm, und sein Gesicht lag im Schatten. »Ich trage jetzt jedoch eine Verantwortung dir gegenüber, und die alberne Rache an meinem Großvater ist daher nicht mehr von Wichtigkeit. Ich gebe ja gerne zu, daß es mein Gewissen nicht belastet hat, deinen Ruf zu zerstören oder dir deine Jungfräulichkeit zu nehmen, aber dich versehentlich zu schwängern ist nichts, was ich unbekümmert in Kauf nehmen darf. Also Heirat.«
Es gab nichts auf der Welt, das sie sich lieber wünschte, als Nicholas’ Frau zu werden, aber bis zu diesem Morgen hatte sie geglaubt, es sei vollkommen unmöglich. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er in der Entscheidung, sie zu heiraten, einen Weg sah, ein wenig von seiner vermeintlichen Schuld an Owens Tod abzubüßen.
»Seit wir unsere lächerliche Abmachung getroffen haben, hast du dein Bestes getan, um mich zu verführen«, sagte sie. »Ich kann einfach nicht
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