Ein Spiel um Macht und Liebe
fast züchtig. Nur war ganz und gar nichts Züchtiges an dem Verlangen, das sie in ihm weckte. Versuchsweise öffnete er ein wenig die Lippen. Sie tat es ihm unwillkürlich nach, und ihr Atem vermischte sich.
Nun schon forscher, berührte er mit der Zungenspitze ihre Lippen. Sie zuckte leicht zurück, und für einen qualvollen Augenblick befürchtete er, sie würde beschließen, daß der heutige Kuß nun vorbei sei. Doch statt dessen tippte ihre Zunge leicht die seine an, und ihre Hände bewegten sich zögernd ungeschickt auf seinem Rücken.
Sie schmeckte süß wie ein Sommerwein. Er wußte, wie verrückt es war, ausgerechnet jetzt, da ihr Leben in Gefahr war, solche Lust zu verspüren, aber für einen Moment konnte er das Wasser, die Finsternis, ihre bedrohliche Lage vergessen. Nur noch Clare war real. Er hob sein Bein, so daß sie sicherer auf seinem Schenkel saß, und sie reagierte mit ihrem ganzen Körper, der plötzlich so flüssig wie das Wasser um sie herum zu sein schien. Es lag etwas überaus Erotisches in ihren zarten, tastenden Versuchen, seine Liebkosungen zu erwidern, denn es war wie ein Vorgeschmack auf noch verborgene Leidenschaft.
Clare hatte damit gerechnet, daß ein richtiger Kuß von ihm ein Ansturm auf all ihre Sinne bedeuten würde, ein Ansturm, der sie vollkommen aufwühlen würde. Was sie nicht erwartet hatte, war solch eine hinreißende Zärtlichkeit. Instinktiv begriff sie, daß diese Liebkosung nichts mit den ersten beiden Küssen zu tun hatte, als er absichtlich nicht ihren Erwartungen entsprochen hatte, um ihre Reaktionen zu testen. Dieser Kuß aber war geteilte Wonne, denn die Gefahr hatte aus den einstigen Widersachern Gefährten gemacht.
Und die Gefahr war noch nicht vorüber.
Widerwillig drehte sie ihr Gesicht zur Seite.
»Ich…. ich glaube, wir sollten aufhören.«
»Sie glauben? Sie sind nicht sicher?«
Bevor sie antworten konnte, legte sich sein Mund erneut über ihren und löste ihren schwachen Widerstand auf. Sie drängte sich an ihn und erbebte, als seine Hände aufwärts wanderten und ihre Brüste seitlich streiften. Seine leichte Berührung erregte sie in einem Ausmaß, das sie schockierte.
Mit der Erregung kamen Schuldgefühl und akute Verlegenheit, als sie bemerkte, daß sich ihre Lenden auf höchst schändliche Art an den seinen rieben. Sie stieß sich von ihm ab und sagte fest:
»Ich bin sicher.«
Er stieß einen Seufzer des Bedauerns aus. »Wie schade.« Der Griff, mit dem er sie festhielt, lockerte sich ein wenig.
Sie wand sich ein Stück seinen Schenkel entlang, bis sie nicht mehr ganz so nah beieinander waren.
Dennoch war es schwer, eine würdige Haltung einzunehmen, wenn man sich aneinander klammern mußte, um nicht zu fallen und zu ertrinken.
Der Gedanke weckte erneut das Entsetzen, das sie empfunden hatte, als die Strömung sie beinahe in die Tiefe gezogen hatte. Nicholas war ihr einziger Halt, die einzige Sicherheit in einer Welt gewesen, in der plötzlich nur noch Chaos zu herrschen schien. Wenn er nicht so stark, so zäh gewesen wäre, dann wäre sie ein weiteres Opfer der Zeche geworden. »Sie haben mir das Leben gerettet, Mylord.«
»Reine Selbstsüchtigkeit. Ohne Sie wird aus meinem Haushalt nie etwas.«
Seine Witzelei munterte sie wieder etwas auf.
»Aber wenn ich nicht da wäre, um Ihnen Ihr Leben schwerzumachen«, konterte sie, »dann könnten Sie ohne Bedenken Aberdare verlassen.«
»Wer hat gesagt, daß das Leben einfach sein muß?« Er schmiegte sein Gesicht in die Kuhle zwischen ihrem Hals und ihrer Schulter.
Sie hielt den Atem an. Ihr ursprüngliches Abkommen hatte einen Kuß pro Tag vorgesehen; naiv wie sie war, hatte sie nicht geahnt, wie viele verschiedene Möglichkeiten ein Mann hatte, eine Frau mit Berührungen zu verführen. Sie mußte sich unbedingt von seiner gefährlichen Nähe ablenken. »Das Wasser ist noch ein paar Zentimeter gefallen«, sagte sie.
»Stimmt. Am besten finden wir heraus, ob es schon niedrig genug ist, daß ich stehen kann, ohne zu ertrinken.« Er nahm ihre Hand und legte sie auf den Balken, dann entwirrte er ihre Glieder und begann hinabzusteigen.
Ihre Finger rutschten von dem nassen Holz ab, und plötzlich schwebte sie haltlos im Wasser. Mit einem erstickten Schrei versuchte sie panisch, nach dem Holz zu greifen, aber sie war schon abgetrieben und ertastete nur glitschigen Stein, an dem sie sich nicht festhalten konnte.
Im gleichen Augenblick hatte er sie schon gepackt und zog sie nun sachte zurück.
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