Ein Spiel um Macht und Liebe
Nicholas wieder anhielt. »Verdammt.
Hier geht es nicht weiter.« Nach einem Moment setzte er hinzu: »Nein. Ich habe mich geirrt. Aber die Decke senkt sich hier unter die Wasseroberfläche ab.«
Clare versuchte sich stirnrunzelnd zu erinnern.
»Wir sind auf dem Hinweg durch ein Stück Tunnel gekommen, wo Sie Ihren Kopf einziehen mußten, erinnern Sie sich? Die Strecke war nicht besonders lang.«
»Um ehrlich zu sein, habe ich nicht besonders darauf geachtet. Ich weiß nur noch, daß ich manchmal aufrecht gehen konnte und manchmal eben nicht.« In seiner Stimme klang Besorgnis.
»Ich möchte Sie nicht mit unter Wasser ziehen, ohne zu wissen, wie lang dieser niedrige Abschnitt ist. Können Sie sich an einem Balken festhalten, während ich den Gang erkunde?«
Das letzte, was Clare wollte, war, in einem gefluteten Schacht mit einer herumtreibenden Leiche allein zu sein, doch was blieb ihr übrig?
»Etwa zehn Fuß hinter uns habe ich einen Stützbalken ertastet. Es wird schon gehen«, sagte sie ruhig.
Er ging also zurück, bis sie den Pfeiler erreicht hatten. »Können Sie festen Halt finden?«
»Der Balken ist genau richtig«, versicherte sie ihm.
Er gab ihr einen flüchtigen Kuß auf die Stirn, sagte dann aber mit kummervoller Stimme: »Tut mir leid, ich hab’s vergessen. Habe ich jetzt schon den Kuß für morgen verbraucht?«
»Unter diesen Umständen werde ich wohl davon absehen, ihn auf Ihre Rechnung zu setzen«, sagte sie feierlich.
»Na, wenn das so ist…« Er schlang seine Arme um sie und küßte sie wieder, diesmal auf den Mund und weit ausgiebiger als kurz zuvor.
Seine Umarmung schickte sehr willkommene Wärme direkt bis zu ihren eiskalten Füßen. Sie versuchte, streng zu klingen, als er endlich von ihr abließ. »Lord Aberdare, Sie sind impertinent.«
Er lachte in sich hinein. »Natürlich.« Dann schwamm er, nicht länger durch zusätzliches Gewicht behindert, zu der Stelle, an der sich die Decke senkte.
Clare lauschte angestrengt und versuchte, durch die Geräusche zu verfolgen, was er tat. Er hielt inne, um ein paarmal tief einzuatmen und seine Lungen mit soviel Luft wie möglich zu füllen. Dann ein leises Plätschern, und er war fort.
Das Wasser um sie herum kam ihr augenblicklich ein paar Grad kälter vor. Clare schauderte, als sie sich plötzlich bewußt wurde, was für entsetzliche Dinge geschehen konnten. Wenn sie vom Hauptschacht abgekommen waren, konnte Nicholas in ungeahnte Gefahren geraten. Streng befahl sie sich, sich nicht unnötig verrückt zu machen; der Teufelsgraf hatte bereits bewiesen, daß er auf sich selbst aufpassen konnte – und auf sie ebenfalls.
Trotzdem kam es ihr wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich nach Luft ringend wieder durch die Wasseroberfläche brach. Als er sich ein wenig erholt hatte, schwamm er auf Clare zu. »Der Tunnel steigt ein wenig an, so daß das Wasser drüben etwas niedriger ist. Ich denke, wir schaffen es – aber es wird nicht gerade angenehm. Sie werden ihre Lungen bis zum äußersten strapazieren müssen. Glauben Sie, Sie können sich meiner Obhut anvertrauen?«
»Natürlich – Sie brauchen mich doch noch, um Ihren Haushalt auf Vordermann zu bringen!« Nun, da er wieder bei ihr war, kamen ihr die Scherze leicht von den Lippen.
Er lachte und zog sie durchs Wasser, bis sie die Stelle erreicht hatten, wo sie abtauchen mußten.
»Atmen Sie ein paarmal tief ein und halten sie meine linke Hand mit ihren beiden Händen fest.
Wenn Sie bereit sind, drücken sie sie zweimal.«
Sie tat, wie ihr geheißen. Dann signalisierte sie ihre Bereitschaft, und er tauchte unter die Oberfläche und zog sie mit sich in die Tiefe. Er schwamm seitlich unter Clare, und seine Beine brachten sie mit kräftigen, scherenartigen Bewegungen voran. Es kostete nicht viel Kraft, aber was die Annehmlichkeit anging, so hatte er vollkommen recht gehabt. Sie vertraute ihm durchaus, aber als sie spürte, wie ihr die Luft ausging, stieg Panik in ihr auf. Der Drang, sich an die Oberfläche zu strampeln, wurde immer stärker. Ihr Herz hämmerte immer heftiger, und sie zwang sich, die Luft langsam auszustoßen.
Als sie glaubte, ihre brennenden Lungen könnten nicht eine Sekunde länger aushalten, bewegte er sich aufwärts, und sie durchbrachen die Wasseroberfläche. Wieder klammerte sie sich an Nicholas, während sie nach Luft rang. »Tapferes Mädchen«, murmelte er, während er ihr beruhigend über den Rücken streichelte.
»Nicht tapfer«, stieß sie keuchend hervor.
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