Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
wirklich hierbleiben. Es wäre mir unerträglich, würde ich Ihnen wegen dieser Sache den Abend verderben«, sagte Phillippa und nötigte die beiden, sich wieder zu setzen.
»Wir sind doch alle mit deiner Kutsche gekommen«, warf Nora ein, wobei ihre Stimme aber nur einen Hauch besorgt klang.
»Das ist schon in Ordnung, meine Liebe.« Mrs. Hurston meldete sich zu Wort. »Als Nächstes wollen Sie doch auch zum Kartenspiel zu den Blackwells, nicht wahr? Nun, dann fahren Sie mit mir; ich bin mit der Kalesche unterwegs.«
Nachdem das geklärt war, kehrten Nora und Lady de Regis zu der Gesellschaft zurück, Phillippa und Totty verließen sie.
Kaum hatten sie in der Kutsche Platz genommen, die mit einer für die Nachtzeit in London bemerkenswerten Geschwindigkeit fuhr, wandte Phillippa sich an Totty. »Meine Liebe, ich muss dich um einen Gefallen bitten. Ich werde dich zu Hause absetzen.« Totty sah aus, als wollte sie eine Frage stellen, was Phillippa rasch weitersprechen ließ. »Und du wirst mir keine Fragen stellen. Oh, und wenn du es schaffst, könntest du vielleicht eine Fensterscheibe zertrümmern. Eine billige, im Erdgeschoss und hinten am Haus.«
Totty warf Phillippa einen misstrauischen Blick zu. »Ich habe es nicht nötig, Fragen zu stellen. Ich bin schließlich nicht blind«, sagte sie. »Und auch nicht dumm. Ich habe begriffen, wohin die Reise geht. Lange bevor du es begriffen hast.«
Phillippa fing Tottys Blick auf. Klar, kühl, beinahe nüchtern. Wie schon so oft war sie auch dieses Mal überrascht, wie viel Totty wusste. Vielleicht sollte sie aufhören, sich darüber zu wundern.
Sie drückte Totty die Hand, als der Fahrer vor dem Haus der Bennings anhielt. Und als der Lakai den Schlag öffnete und Totty hinaushalf, rief Phillippa ihrer Freundin nach: »Totty?«
Sie drehte sich um.
»Ich danke dir.« Phillippa lächelte.
Totty machte eine abwehrende Handbewegung. »Junge Leute glauben immer, dass sie eine vollkommen neue Entdeckung machen, wenn sie sich verlieben.« Sie ließ die Hand des Lakaien los und den Blick schweifen. »Ah, da haben wir es ja schon!« Sie stemmte einen großen Stein, der den Weg zur Haustür zierte. »Dann frisch ans Werk!«, rief sie und verschwand hinter dem Haus.
Phillippa war vor Schreck erblasst und fragte sich, was Totty wohl mit Verliebtsein gemeint hatte und warum ihr Herz so merkwürdig heftig pochte, als die Kutsche in die dunkle Nacht hineinfuhr.
Marcus Worth konnte nicht im Geringsten vorhersehen, dass an diesem Abend ein Gast an seine Tür klopfen würde. Daher hatte er beschlossen, zu Bett zu gehen und sich seine Kraft für Byrnes Rückkehr aufzusparen. Hoffentlich kehrte Byrne mit Miss Meggie zurück oder zumindest mit einer Nachricht darüber, wo sie abgeblieben war.
Aber ins Bett gehen wollte er erst, nachdem er seinen Brief an Phillippa beendet hatte.
Mindestens ein Dutzend Mal hatte er ihn zu schreiben begonnen und jedes Mal eine höhere Stufe der Unzulänglichkeit, der Ungeschicklichkeit und der Geschwätzigkeit erklommen. Sein jüngster Versuch war der schlimmste.
»Liebe Mrs. Benning … «, so fing es immer an, »vielen Dank für Ihre Unterstützung bei unserer letzten Begegnung. Das war sehr nett.« Nett. Sie operierte ihm eine Pistolenkugel aus der Schulter, und er nannte es »nett«? Ziemlich lächerlich. »Gleichwohl beschleicht mich das Gefühl, dass es angesichts der Umstände unklug wäre, besagte Unterstützung auch künftig in Anspruch zu nehmen.« Er brauchte wirklich ein beschönigenderes Wort für Unterstützung . »Aus diesem Grunde möchte ich Ihnen mitteilen, dass Ihre Unterstützung nicht länger benötigt wird. Wenn wir uns in Zukunft bei Gelegenheit begegnen, sollten wir einander nicht unterstützen … «
An dieser Stelle gingen ihm die Worte aus. Marcus rieb sich die müden Augen. Er sollte zu Bett gehen. Er sollte an die frische Luft gehen. Er sollte irgendetwas anderes tun, als sich in diesem Fegefeuer zu quälen und einem Menschen einen Abschiedsbrief zu schreiben, nach dem er sich verzweifelt sehnte.
Aber es musste sein. Die Lage war zu gefährlich geworden. Phillippa würde es bestimmt genauso sehen. Trotz ihres Hangs zu Firlefanz und Flitter war sie eine ausgesprochen praktisch veranlagte Frau. Sie organisierte Dinnerpartys mit derselben Leichtigkeit, mit der sie in Irrgärten gefährliche Verbrecher jagte. Sie konnte sich an alle Gäste bei Almack’s erinnern und daran, welche Garderobe sie getragen hatten. Sie war in
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