Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
sanft.
»Was?«
»Du gehst nicht«, erwiderte Byrne.
»Ich fühle mich gut«, widersprach Marcus. »Es ist sogar so, dass ich langsam verrückt werde, wenn du mich hier noch länger einsperrst.«
»Heb doch mal den Arm über den Kopf«, befahl Byrne.
Marcus gehorchte, aber nicht, ohne das schmerzhafte Stöhnen zu unterdrücken.
»Kann sein, dass du dich im Moment gut fühlst. Aber meinst du nicht, dass man dein Gesicht im Bull and Whisker mittlerweile kennt? Ich werde Meggie ausfindig machen.«
»Aber, Byrne … « Beim flehenden Blick seines Bruders brach Marcus ab.
»Bitte, lass mich das erledigen!«, sagte Byrne und warf ihm noch einen flehenden Blick zu. »Wenigstens habe ich dann eine Sache, um die ich mich kümmern kann.«
Marcus hielt inne. Die ganze Zeit über hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, dass Byrne sich an den Rand gedrängt fühlen konnte, weil er, Marcus, alles allein tat.
Denn im zurückliegenden Jahr war Byrne nicht nur von Marcus fortgezogen, er hatte sich auch innerlich entfernt. Und Marcus bemerkte, dass es ihm nicht anders ergangen war. Er führte seine eigene Ermittlung, und zwar zielstrebig. Die Brüderlichkeit, die ihre Beziehung während ihres gesamten Lebens geprägt hatte, hatte einen Riss erlitten. Die Rollen, die sie stets gespielt hatten, gab es nicht mehr. Vielleicht fühlte sich sein Bruder ohne sie verloren.
»Ja, vielleicht hast du recht«, lenkte Marcus ein. »Ich muss einen Haufen Papiere durchsehen. Und ich könnte ein Schläfchen gebrauchen. Außerdem bist du Blue Raven. Du bist derjenige, der die Kohlen aus dem Feuer holen muss.«
Byrne nickte. Er drehte sich zur Tür, warf noch einen Blick auf den Stapel Papiere auf Marcus’ Schreibtisch. Ein Stapel Papiere konnte als vernünftige Ausrede gelten. Jedenfalls als ausreichende.
»Ich ziehe mich nur um«, erwiderte Byrne und eilte zu seinem Koffer, den er in Marcus’ Garderobe verstaut hatte.
»Und ich … ich werde einen Brief schreiben«, sagte Marcus und kehrte an den Schreibtisch zurück.
Er setzte sich, griff nach einem leeren Blatt Papier und legte es vor sich hin. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis Byrne ihm durch die geöffnete Tür etwas zurief.
»Ist der Brief an Mrs. Benning?«, fragte er laut.
»Nein. Wie kommst du darauf?«
»Ach, ich dachte nur«, gab Byrne zurück und tauchte wieder aus dem Schlafzimmer auf. Er trug eine schmutzige Hose, verdreckte Stiefel und einen geflickten Soldatenmantel. Seine Haltung war gebückt, die Stimme knurrig; das Bild wurde durch eine braune Flasche in der Hand und eine staubige Mütze auf dem Kopf vervollständigt, die sein dunkles Haar und die Augen verdeckte. »Weil du sagtest, dass du sie nicht länger mit hineinziehen willst. Das ist doch richtig, oder?«
Ruckartig zog Marcus die Brauen hoch.
»Aber weiß sie das auch?«, fragte Byrne.
Phillippa zitterte beinahe, als sie das Haus der Worths betrat.
Ob er wohl dort war? Mittlerweile war fast eine ganze Woche verstrichen, ohne dass sie etwas von ihm gehört hatte. Sie hatte keine Möglichkeit gehabt zu erfahren, ob er seine Verwundung überlebt hatte oder ihr erlegen war; und sie hatte keine Möglichkeit, sich zu erkundigen. Ihr blieb nur die Hoffnung, dass Marcus auch dort sein würde, wenn Mariah eine ihrer üblichen Dinnerpartys gab.
Inzwischen musste er sich erholt haben. Es musste einfach so sein. Aber was, wenn das Fieber ihn fest im Griff und seinen Körper geschwächt hatte? Was, wenn … Nein, auf solche Gedanken darfst du dich gar nicht erst einlassen, schimpfte sie mit sich, als sie zusammen mit Totty, Nora und Noras Mutter an ihrer Seite über die Schwelle von Worth House trat. Um ihre Lippen spielte ein fröhliches Lächeln.
»Phillippa, warum sind wir hier?«, erkundigte sich Nora leise.
»Weil man irgendwo zu Abend essen muss«, antwortete Phillippa ernst. »Außerdem schätze ich Lady Worth inzwischen sehr.«
»Mir ist klar, dass ihre Wohltätigkeit dein neuestes Steckenpferd ist. Aber ausgerechnet Lady Worth … grrr. Wie hältst du das nur aus?«
»Na, na, das ist aber unhöflich«, schimpfte Phillippa und drängte Lady de Regis, ihrer Tochter ebenfalls einen missbilligenden Blick zuzuwerfen. »Ich bin überzeugt, dass du Lady Worths Manieren tadellos finden wirst.« Und besser als deine, dachte Phillippa, hielt aber lieber den Mund.
»Ich vertraue darauf, dass junge Gentlemen für meine Nora anwesend sein werden«, sagte Lady de Regis und steuerte ihren Beitrag zur
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