Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
kann sie es wagen!«, rief Nora unvermutet und lenkte Phillippas Aufmerksamkeit wieder zurück auf sich.
»Du schaust nur drei Sekunden lang weg«, fuhr Nora fort, »und schon mischt diese Elster sich ein und versucht, ihn abzuschleppen!«
In der Tat, Lady Jane Cummings und eine Freundin hatten sich in die Gruppe der jungen Männer gemischt. Man scherzte und lachte. Sie muss in Lauerstellung gelegen haben, dachte Phillippa, und zwar genau in jenem Laden, vor dem die Männer stehen geblieben waren. Tatsächlich beobachtete Phillippa einen Lakaien in Lady Janes Livree, der mit Schachteln beladen aus besagtem Laden trat.
»Kluges Mädchen«, stieß Phillippa atemlos aus und lehnte sich nach einem raschen Blick in die andere Richtung zu Nora.
»Da vorn bei Broughton, ist das nicht Thomas Hurston?«
»Ja, das ist er!«, erwiderte Nora, »aber ich fürchte, ich muss gerade böse auf ihn sein. Auf der Party letzte Nacht hat er mir Punsch anstatt Champagner gebracht. Kannst du dir das vorstellen?«
»Oh, wie entsetzlich.« Totty schauderte.
»Sieh mal zu, ob du ihn dazu bringen kannst, zu dir zu kommen.«
»Wie das?«
»Zähl bis fünf«, antwortete Phillippa hastig, blickte sich um und sah Lady Worth mitsamt ihrer Begleitung direkt auf sie zusteuern. Noch gut zwanzig Meter entfernt …
Nora befolgte die Anweisungen, fing Thomas Hurstons Blick auf, hielt ihn fest und zählte bis fünf.
Er kam auf sie zu, bevor sie bis drei gezählt hatte.
»Großartig. Er kommt rüber.«
»Gut! Und jetzt geh ihm entgegen.«
Noch fünfzehn Meter …
Nora zog einen Moment lang die Brauen hoch, bis sie begriff. »Ah, verstehe. Du schließt dich mir an, und das versetzt Broughton in die Lage, sich bei seinen Begleitern zu entschuldigen, um Thomas zu holen … und dich bei dieser Gelegenheit wie zufällig zu begrüßen.«
»Ehrlich gesagt möchte ich kurz mit Mr. Worth sprechen.«
»Mit Mr. Worth?«, rief Nora aus, »aber warum? Ärgerst du dich immer noch über Mrs. Hurstons Turban? Aber ich versichere dir, dass Thomas ihn auch schrecklich findet … «
Zehn Meter … Lady Worth bewegte sich viel zügiger als Broughton.
»Nora, bitte. Mr. Hurston ist schon halb bei dir. Geh ihm entgegen. Und gib dich versöhnlich … nun mach schon!«
Phillippa stupste ihre Freundin an und drehte sich gerade rechtzeitig für die Begrüßung um. »Guten Tag, Lady Worth. Mr. Worth.« Sie knickste.
Falls das Paar über Phillippas schnelle und freundliche Begrüßung erstaunt war (und dass Nora so schnell verschwand), verlor es kein Wort darüber, sondern verbeugte sich ebenfalls.
»Mrs. Benning«, stieß Lady Worth sofort aus, »ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue, dass ich Ihnen heute über den Weg laufe. Ich komme gerade aus dem Waisenhaus, und Sie werden nicht glauben, was dort passiert ist!«
»Oh, wirklich? Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes. Oh, bestimmt erinnern Sie sich an Mrs. Tottendale?«
Lady Worth nickte hastig in Tottys Richtung; Totty erwiderte den Gruß. Mr. Worth streckte schweigend die Hand aus und kraulte Bitsy unter dem Kinn. Bitsy schmiegte sich in seine Hand, während Lady Worth fortfuhr.
»Ja, natürlich, Mrs. Tottendale. Oh, es tut mir leid, ich bin vollkommen durcheinander! Nein, es ist nichts Schlimmes. Weit gefehlt! Mrs. Benning, ich habe keine Ahnung, was Sie getan haben oder wie Sie es getan haben, aber mein Waisenhaus hat in der vergangenen Woche mehr Zuwendungen erhalten als je zuvor seit seiner Gründung!«
»Lady Worth, ich versichere Ihnen, dass ich kaum einen Finger gerührt habe«, gab Phillippa zurück, entfernte die Hand der Frau sanft von ihrem Ärmel und platzierte sie ebenso sanft auf Tottys freiem Arm. »Mrs. Tottendale hat mir gerade erzählt, wie sehr sie Ihre guten Taten bewundert. Nicht wahr, Totty?« Totty wirkte einen Moment lang verwirrt, aber als sie Phillippas durchdringenden Blick auffing, zwang sie sich zu einem Lächeln und nickte. »Ich flehe Sie an, bitte erzählen Sie ihr doch, wie es mit Ihren philanthropischen Bestrebungen überhaupt angefangen hat?«
»Äh, ja«, fügte Totty mit einem angestrengten Lächeln hinzu, »ich … kann mir gar nicht vorstellen, warum … ich will sagen, wie Sie es angestellt haben.«
Lady Worth klammerte sich mit mächtigem Griff an Totty fest und machte sich mit ihr und Bitsy auf den Weg die Bond Street hinunter. Nach einem letzten Blick über die Schulter fand Totty sich in eine viel erbaulichere Unterhaltung vertieft, als sie
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