Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
Mann, der mich jemals zu einer Gewalttätigkeit hingerissen hat.« Phillippa musterte ihn eindringlich, kam Schritt für Schritt näher. Sie starrte ihm direkt in die Augen. Und er starrte geradewegs zurück.
Und plötzlich brachen beide in schallendes Gelächter aus.
»Gut, Sie haben gewonnen«, gestand sie lächelnd ein, »aber nur diesmal.«
»Bitte verzeihen Sie mir, Mrs. Benning«, sagte Marcus, nachdem sein Gelächter versiegt war, »ich konnte es mir nicht verkneifen, ein wenig meinen Spott mit Ihnen zu treiben, zumal Sie so bereit schienen, mich zu reizen.«
»Ja, also … « Phillippas Stimme verklang. Ihr Blick verlor sich in seinem Gesicht. Auch heute trug er seine Brille, die ihm sogar recht gut stand, obwohl eine Brille an sich nicht besonders modisch war. Aber sie verlieh ihm Ernsthaftigkeit und verbarg seinen unüberhörbar vorlauten Sinn für Humor.
»Mrs. Benning?«
»Hm?«, erwiderte sie und kehrte nur langsam aus ihrer Träumerei zurück.
»Sie haben mich angestarrt. Habe ich etwa irgendeinen Schmutzfleck auf der Wange?«
»Was?« Phillippa erschrak und errötete. »Ihre … Ihre Koteletten sind ungleichmäßig. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen?«
Verlegen fasste er erst an die rechte Kotelette, dann an die linke, und ertastete den Unterschied auf den Wangen.
»Wie können Sie sich mit solch ungleichmäßigen Koteletten nur durchs Leben schlagen? Ich kann es gar nicht glauben. Sie sollten Ihren Kammerdiener entlassen.«
»Ich habe keinen Kammerdiener.«
»Wie bitte?«, platzte sie ungläubig heraus, »du liebe Güte, wie schaffen Sie es dann nur, sich Ihr Halstuch zu binden? Oder Ihre Kleidung zu bügeln? Das raubt einem ja den Verstand!«
»Mrs. Benning«, entgegnete Marcus mit sanftem Grinsen, »glücklicherweise kann ich mir das Halstuch selbst binden. Und was Kleidung angeht, Sie würden staunen, was man bei der Armee alles lernt. Aber keine Sorge, ich werde mir die größte Mühe geben, während der Zeit unserer Allianz so sorgfältig wie möglich herausgeputzt zu sein.«
Phillippa riss die Brauen hoch. »Unserer Allianz?«
Marcus blickte erst über seine Schulter und dann über Phillippas. Sie folgte seinem Blick. Lady Worth redete rasch und unerschrocken auf eine sprachlose Totty ein, während sie die Straße entlangspazierten. Nora hing höchst anmutig an Thomas Hurstons Arm. Broughton hatte die Gruppe seiner Begleiter noch nicht verlassen, warf Phillippa aber immer wieder Blicke zu.
»Ich habe über den Handel nachgedacht, den Sie mir bei unserer letzten Begegnung vorgeschlagen haben«, sagte Marcus mit leiser Stimme, trat einen Schritt näher und behielt die Passanten auf der Bond Street genau im Blick. »Die Umstände haben sich geändert. Schaffen Sie es wirklich, mich zu allen Ereignissen einzuladen, die auf meiner Liste verzeichnet sind?«
»Zu den Ereignissen und zu jedem anderen Ball, zu Kartenspielabenden und zu den musikalischen Aufführungen der Saison«, erwiderte Phillippa. Als sie seinen flüchtigen düsteren Blick bemerkte, rann ihr plötzlich ein kalter Schauder über den Rücken. »Es ist etwas geschehen, nicht wahr? Sonst hätten Sie sich mir nicht auf zehn Schritte genähert.«
Marcus blickte sie schockiert an. »Ja, Mrs. Benning, es ist etwas geschehen. Ihr Vorschlag hätte mich sonst nicht im Geringsten interessiert. Das mit Ihnen ist eine ganz andere Sache.«
Wie groß ihre Anspannung gewesen war, merkte Phillippa erst jetzt, als diese nachließ.
Marcus fuhr fort. »Ich glaube, das Bankett bei den Whitfords findet schon morgen statt.«
»Reichlich Zeit, um noch eine Einladung für Sie zu ergattern«, erwiderte sie schulterzuckend, blickte ihn dann aber misstrauisch an. »Sie sind also einverstanden, auf meinem Ball als Ehrengast aufzutreten?«
»Ja, ich bin einverstanden. Gegen jeden gesunden Menschenverstand. Und zu gewissen Bedingungen.«
»Bedingungen? Oh, Mr. Worth, Sie können sich garantiert auf meine Diskretion verlassen. Hätte ich Sie nicht schon längst als … «, die nächsten Worte flüsterte sie nur noch, »… als Blue Raven enttarnen können, seit mir das erste Mal der Verdacht gekommen ist?«
»Ja, natürlich. Aber ohne Beweis … «
»Ich habe die Feder aus der Bibliothek Ihres Bruders.«
»Eine Feder ist eine Feder und kein wasserdichter Beweis. Nein, Mrs. Benning, ohne Beweise setzen Sie nur Gerüchte in die Welt. Ich kenne Sie zwar nicht besonders gut, aber ich weiß ganz bestimmt, dass Sie nicht herumlaufen und so
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