Ein Spion in erlauchter Gesellschaft (German Edition)
Erklärung wäre mir lieber. Zum Beispiel, warum ich überall höre, dass Blue Raven sich in der Stadt herumtreibt«, brummte er. Inzwischen klang seine kalte Stimme verächtlich, und aus den schwarzen gebogenen Brauen sprach der Zorn.
Marcus seufzte. »Das dürfte mehr als nur einen Tee erfordern.«
Damit begleitete Marcus seinen zweitältesten Bruder, der zufällig Blue Raven war, in sein kleines, unordentliches Arbeitszimmer.
Ja, eine Erklärung. In der Tat.
Marcus und Byrne waren immer ein Gespann gewesen, eigentlich schon seit Marcus’ Geburt. Ihr ältester Bruder Graham war bereits sieben Jahre alt, als Byrne geboren wurde. Er hatte sich daher schon ziemlich erwachsen gefühlt und es nicht versäumt, das allen kundzutun. Graham behandelte seinen jüngsten Bruder so sehr von oben herab, dass Byrne ihn nicht als seinen Kameraden anerkannte. Marcus, der nur zwei Jahre jünger war, hatte daher sehr viel besser zu Byrne gepasst.
Schon als Baby hatte Byrne mit seinem rabenschwarzen Haar – es war so schwarz, dass es blau schimmerte – und den durchdringend blauen Augen einfach hinreißend ausgesehen. Er konnte ausgesprochen sarkastisch, ja sogar zynisch sein, was wunderbar zu seinem Durst nach Abenteuern passte. Marcus war der streitbarere und lässigere von ihnen gewesen; als Jugendlicher war er sehr in die Höhe geschossen und es war ihm schwergefallen, mit sich zurechtzukommen, was aber seiner offenen Art und seinem gutmütigen Naturell keinen Abbruch getan hatte.
Eigentlich hätte man annehmen können, dass solche Unterschiede in Aussehen und Temperament die beiden Brüder eher getrennt hätten. Aber stattdessen schienen sie förmlich aneinander zu kleben und waren praktisch in der Lage, die Gedanken des anderen lesen zu können. Nur selten irrten sie sich, und ihr Vertrauen ineinander war unerschütterlich.
Wenn der eine mit Mathematik Schwierigkeiten hatte, war es nur natürlich, dass er sich beim anderen Hilfe holte.
Wenn der eine beschloss, beim Militär anzuheuern, dann tat der andere es auch.
Und als Byrne beschloss, Spion zu werden, war es nur natürlich, dass Marcus sein Kontakt im Felde wurde, also die Person, die sämtliche verfügbaren Informationen sammelte und sortierte und erkundete, wo er als Nächstes gebraucht wurde und wofür.
Selbstverständlich war das nicht ihr ursprünglicher Plan gewesen. Sowohl Marcus als auch Byrne hatten sich dem Siebzehnten Regiment der Armee Ihrer Majestät angeschlossen, deren Einsätze sich während des langen Krieges gegen Frankreich vom Tal der Loire über die Pyrenäen bis nach Spanien hinein erstreckten; in Spanien hatten Marcus und Byrne ihre erste Mission gegen den Feind erfüllt.
Es war wirklich nicht besonders schwierig gewesen. Der kleine Spanier war kaum mehr als ein Junge gewesen, der sich im Dorf umhertrieb. Aber als Marcus und Byrne beobachteten, wie er von einem Tisch in einer Taverne ein schmutziges Pergament an sich nahm und sich dabei misstrauisch umblickte, beschloss Byrne, ihm zu folgen. Und Marcus folgte Byrne.
Byrne hatte sich in das verfallene Gebäude geschlichen, in dem der Junge verschwunden war und aus dem er mit einem Stück Papier und der Information zurückkehrte, wer sich dort aufhielt. Denn Byrnes schwarzes Haar und sein damals dunkler Teint sowie seine recht passablen Sprachkenntnisse erlaubten es ihm zu jener Zeit, als Spanier durchzugehen. Aber Marcus war es gewesen, der die Informationen hatte entschlüsseln können; er hatte ihrem Regimentskommandanten genau sagen können, was sie zu bedeuten hatten. Was letztlich dazu führte, dass das Leben beinahe jedes Mannes im Regiment gerettet werden konnte.
Auf diese Weise hatten die beiden Brüder es geschafft. Als das Innenministerium von ihren Erfolgen Wind bekam, wurden ihre Verträge erneuert, nur dass sie diesmal direkt für das Kriegsamt arbeiten sollten. Ihre Tage verbrachten sie genauso wie vorher; es änderte sich kaum etwas. Noch immer gehörten sie zum Siebzehnten Regiment und nutzten deren Einsätze als Tarnung für ihre eigenen.
Byrne zumindest genoss die Zeit in vollen Zügen. Er konnte überall herumschnüffeln, sich manchmal wochenlang in kleinen Dörfern einnisten (sein Spanisch wurde besser, und sein Französisch war schon immer makellos gewesen) und Informationsfetzen aufschnappen, die er dann an Marcus weitergab, der das manchmal undurchschaubare Puzzle zusammenfügte. Nachdem Marcus durch einen Messerstich verletzt worden war, hatten sie ihre Rollen
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