Ein Stern fliegt vorbei
die noch funktionierte, erklärte der Besatzung die entstandene Lage, ordnete an, daß alle sich in ihren Räumen zur Verfügung halten sollten, mit Ausnahme derjenigen, die für die Versorgung der Besatzung zu arbeiten hätten, und fügte hinzu, daß bei Ausfall der Rundsprechanlage drei schrille Pfiffe im Mittelgang den Befehl bedeuten würden, sich im Saal zu versammeln.
„So“, sagte er dann, „und jetzt müssen wir uns ein Bild davon machen, wie unsere Lage wirklich ist.“ Er sah sich um. „Halt, aber vorher noch eins – Yvonne hat doch am Sender Terra mitgearbeitet. Sag ihr, sie soll alle Leute zusammennehmen, die etwas vom Funken verstehen, und mit ihnen beraten, wie man am schnellsten ein Funkgerät zustande bringt, das kein Milligramm Silikone enthält. Das muß doch möglich sein, es geht ja dabei hauptsächlich um das Isolationsmaterial und die Schaltdrucke. Ich werde mit dem Chefingenieur nacheinander alle Systeme und Teile des Raumschiffes an Hand der Baupläne durchgehen, und wir werden markieren, wo sich Silikone befinden. Immer wenn wir einen Abschnitt fertig haben, gebe ich dir die Pläne, Lutz, und du holst dir den Verantwortlichen für den Bereich und besprichst mit ihm, wie und durch welche Maßnahmen wir die lebensnotwendigen Funktionen aufrechterhalten. In drei, nein – in vier Stunden setzen wir uns alle zusammen. Ich rechne, daß in dreizehn, vierzehn Stunden die anderen Raumschiffe hier sind. Es wäre schön, wenn wir dann schon wieder senden könnten.“
Er wandte sich an seine Frau. „Ich habe dich nicht extra erwähnt, weil es bei dir sowieso klar ist. Ich bitte dich nur – und ich möchte auch alle anderen bitten, bei ihren Überlegungen zu berücksichtigen, wie wir möglichst viele Besatzungsangehörige möglichst intensiv beschäftigen können. In solcher Lage ist nichts schlimmer, als wenn man zur Untätigkeit verurteilt ist. Also, bis dann!“
Erst während seiner Arbeit kam es Lutz voll zu Bewußtsein, wie schwierig die Situation war, in der sie steckten. Auf einigen Gebieten konnte man die Silikone sicherlich mit mehr oder minder großem Aufwand durch Plaste oder Öle auf Kohlenstoffbasis oder auch durch andere Werkstoffe ersetzen; aber es gab keine Möglichkeit, das Schiff zuverlässig manövrierfähig zu halten, erstens wegen des Antriebs, der nun stillgelegt werden mußte, wenn man keine Explosion riskieren wollte, und zweitens wegen der Steuer- und Rechenelektronik, die zwar relativ unzugänglich war für die Erreger, bei der aber außer der Isolierung auch die Mikrofilme aus Silikon bestanden. Zwar war diese hochentwickelte Automatik imstande, bis zu tausend zufällig entstehende irreguläre Verbindungen ohne Einbuße ihrer Funktionstüchtigkeit zu „verdauen“ – aber wenn Millionen Schaltungen deformiert wurden, war sie völlig unkontrollierbar.
Soviel war Lutz klar: Selbst wenn es gelänge, mit dieser Silikonpest fertig zu werden – die SIRIUS mußte auf jeden Fall verlassen werden, und die Aufgabe konnte eigentlich nur noch darin bestehen, das Leben im Raumschiff so lange aufrechtzuerhalten, bis ein Weg gefunden worden war, es zu verlassen, ohne die Pest mitzuschleppen.
Am schlimmsten sah es mit der Sauerstoff-Regeneration aus. Es war überhaupt ein Wunder, daß sie noch funktionierte. Wahrscheinlich hatten die Erreger – wenn es wirklich welche waren – die Filter noch nicht passieren können. Immerhin – auch ohne die Anlage konnte man das ausgeatmete Kohlendioxyd chemisch binden und den Verlust aus den Vorräten an komprimiertem Sauerstoff direkt ersetzen. Das würde etwa eine Woche reichen.
Kurz vor Beginn der festgesetzten Beratung trat Yvonne fröhlich trällernd bei Lutz ein. Ihre Aufgabe hatte sich als lösbar erwiesen, und vom gesamten Stand der Dinge hatte sie keine rechte Vorstellung. Sie brach sofort ab, als sie Lutz’ Gesicht sah.
„Ernst oder verzweifelt?“ fragte sie.
Lutz lächelte gequält. „So verzweifelt, daß es schon kaum noch ernst zu nehmen ist“, sagte er.
Die Beratung ergab, daß fast alle Silikonarten befallen waren. Der Plan, den Henner vorlegte, wurde bestätigt, und dann hub eine verwirrende, aber durch und durch planvolle Geschäftigkeit an. Es war, als ob diese in die Tiefe des Weltraums vorgedrungene Menschheit sich auf ihre ursprünglichen Handwerke besinne: das drehte, fräste, schmiedete, goß und bohrte, das hämmerte, sägte, schraubte, nagelte und klebte, daß das Raumschiff innen bald aussah wie
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