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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Diplomatie, nicht Abpassen eines geeigneten Zeitpunkts. Das verwirrte sie, und er merkte es.
    Verwirren wollte er sie nicht. Er hörte auf, Überflüssiges zu reden und sah sie schweigend an.
    „Sag schon!“ forderte sie.
    „Ich werde auf die SIRIUS übersetzen.“
    Als sie verstanden hatte, überkam sie der Wunsch, sich an ihn zu klammern, ihn festzuhalten. Aber gleichzeitig fiel ihr ein, daß diesem Mann gegenüber, ihrem Mann, nur klare Rede und Argumente nützten – eine Tatsache, auf die sie sonst stolz war. Und sofort begriff sie auch, daß ihre Argumente schwächer sein würden. Immer waren ihre Burschikosität, ihre Schlagfertigkeit, ihre Ironie das Ergebnis von Stolz und Schwäche gewesen. Und auch ihre Liebe zu ihm war, ohne daß er es wohl schon so recht begriffen hatte, in diese beiden Charaktereigenschaften gekleidet. Da sie schwach war, unternahm sie keinen Versuch, ihn abzuhalten. Und da sie stolz war, besiegte sie ihn doch.
    Das alles hatte kaum die Zeit gedauert, den Kopf zu senken und ihn wieder zu heben. Ihr längliches Gesicht war ruhig und schön, als sie ihn ansah und fragte: „Wann fahren wir?“
    Jetzt war er es, der Einwände zu machen hatte; und indem er sie machte, unterlag er.
    „Du hast mich nicht ganz richtig verstanden“, sagte er, „es handelt sich nicht um eine heldenhafte Geste. Ich habe nicht meinen Tod im Sinn – obgleich natürlich die Gefahr besteht. Aber sie brauchen wirklich Hilfe. Sie stellen keine neuen Fragen mehr. Sie sind müde.“
    „Es war mir klar, daß du einen ernsthaften Grund hast“, sagte sie. „Aber keinen ernsthaften Grund hast du, gegen die Regel zu verstoßen, daß die Familien zusammenbleiben sollen. Es ist nur so ein vorgeschichtlicher Rest, so ein männliches Beschützergefühl.“
    Er schwieg, weil sie recht hatte.
    „Man könnte es auch härter bezeichnen“, sagte sie.
    Er schwieg noch immer.
    „Zum Beispiel als Eitelkeit.“ Aber sie wußte, daß das ungerecht war, und er wußte, daß sie es wußte, und daß sie ihn nur drängen wollte zu dem, was ohnehin unumgänglich war: zu seiner Zustimmung.
    „Es ist gut“, sagte er langsam und ernst.
     
    „Er hat recht, uns den Kopf zu waschen“, meinte Lutz zu Yvonne, als sie von der Besprechung kamen, die der Kommandant sofort nach seiner Ankunft auf der SIRIUS abgehalten hatte. „Wir starren wie gebannt auf die Biester, was sie tun oder nicht tun, statt auf die Menschen zu sehen, was sie tun und tun können.“ Er stieß sich mit der Faust vor die Stirn. „Wird denn unsereiner nie erwachsen!“
    „Wart’s ab“, antwortete Yvonne. „Wenn deine Tochter uns ihren Freund vorstellt, wirst du dich schon erwachsen fühlen.“ Sie gingen in ihr Zimmer. Yvonne hockte sich, ein Bein untergeschlagen, auf ihre Liege und sah aufmerksam, wie er auf und ab marschierte.
    „Du fragst mich gar nicht, wie ich darauf komme“, sagte sie herausfordernd.
    „Worauf?“
    „Auf unsere Tochter.“
    Er blieb stehen, brummte, ließ sich in einen Sessel fallen und fragte dann nachgiebig: „Und wie kommst du darauf?“
    „Ich hab mir, als der Kommandant sprach, vorstellen müssen, wie wir später unserer Tochter davon erzählen werden, was hier war. Eltern sollten ihren Kindern immer möglichst genau über die Punkte in ihrem Leben unterrichten, wo sie Grund hatten, sich zu schämen. Das fördert das moralische Wachstum der Menschheit“, schloß sie, ironisch dozierend.
    Lutz sah sie fragend an. Sie dozierte manchmal irgendwelche Binsenweisheiten, wenn „es“ in ihr dachte – das war ihm in der letzten Zeit aufgefallen. Wahrscheinlich war das eine Art, sich abzuriegeln und Störungen des Gedankengangs durch Fragen oder Bemerkungen anderer zuvorzukommen.
    Er setzte sich also stumm an den Tisch, nahm ein Blatt Papier und schrieb oben als Überschrift: Liste. Wladimir, oder in diesem Fall richtiger Kommandant Schtscherbin, hatte nämlich verlangt, daß bis morgen eine Liste neuartiger Fragestellungen erarbeitet werden sollte, Fragen, die man an das biologische System namens Silikophage zu stellen habe, zunächst ohne Rücksicht darauf, ob und wie eine Antwort zu erhalten sei.
    „Du hast ja noch gar nicht nach dem Aerometer gesehen“, sagte Yvonne plötzlich mit einem eigenartigen Funkeln in den Augen.
    Lutz fühlte sich ertappt. Immer wenn er ihren Wohnraum betrat, sah er zuerst nach dem Gerät, das die Zusammensetzung der Luft anzeigte. Und tatsächlich war es ja fast unverständlich, daß die

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