Ein Stern fliegt vorbei
Bedingungen mußten ja wohl auf die anderen Raumschiffe ebenso zutreffen. Lutz formulierte den Bericht und legte ihn gerade Henner Hellrath vor, als ein Anruf sie beide zu Sabine rief Sabine Hellrath hatte es bei der Sitzung der Kommission übernommen, eine Suspension von Silikonmehl aus den Bruchteilen unter dem Elektronenmikroskop zu untersuchen. Offensichtlich mußte sie etwas Wichtiges entdeckt haben, denn sie wies, als die beiden Männer eintrafen, mit der Hand auf eine Projektionsfläche an der Wand, ohne die Augen vom Gerät zu heben. Die beiden Männer blickten auf die Fläche, auf der jetzt das Bild erschien, das Sabine im Gerät sah.
Eine schwarze, zackige Linie – offenbar der Rand eines Silikonstäubchens – war von vielen kleinen, blassen Körperchen bedeckt, und jetzt – Lutz wischte sich über die Augen und sah noch einmal hin –, tatsächlich: Einige der Körperchen teilten sich, hier, und da wieder eins. Unglaublich! Lebende Erreger, die sich von Silikonen ernährten? Das hieße ja… Das hieße… Eine Welle von Erregung stieg in Lutz hoch.
„Ein anderes Bild“, sagte Sabine mit beherrschter Stimme. Wieder sahen sie einen schwarzen, gezackten Rand, diesmal ohne die Kolonien von Körperchen. Lange Zeit geschah weiter nichts. Schließlich schob sich, anscheinend getragen von Mikroströmen, ein Punkt in das Blickfeld, der ein solches Körperchen sein konnte. Er trieb langsam mal in dieser, mal in jener Richtung und kam dabei dem Rand des Stäubchens immer näher. Plötzlich begann er. sich geradlinig und immer schneller werdend auf den Rand zuzubewegen. Kein Zweifel – das war aktive Bewegung. Jetzt legte er sich an einen vorstehenden Zacken.
„Zeit nehmen!“ rief Sabine. Lutz begriff nicht gleich, sah aber doch auf die Uhr. Sie warteten.
Und plötzlich teilte sich das Körperchen. „Jetzt!“ rief Sabine, aber Lutz hatte schon begriffen und auf die Uhr gesehen. „Drei Minuten“, sagte er. Sie warteten noch eine Teilung ab, die etwa nach der gleichen Zeit stattfand, dann erhob sich Sabine vom Elektronenmikroskop. Ihr Gesicht war jetzt abgespannt. Sie sah die beiden Männer an und wußte, daß auch sie begriffen hatten. Bei dieser Geschwindigkeit der Teilung mußten aus einem Erreger in einer Stunde eine Million Erreger hervorgehen. Das erklärte, warum diese Erscheinung so plötzlich in solchem Umfang auftrat – aber es ließ auch ahnen, welche Gefahr da auf das Raumschiff und auf das ganze Vorkommando, ja, im Grunde auf das ganze Unternehmen zukam.
Lutz hatte durch das Studium der Unterlagen aus dem Archiv einen gewissen Eindruck davon erhalten, wieviel Silikon im Raumschiff war. Im Grunde gab es kein lebenswichtiges Teilsystem, in dem nicht ein solcher Stoff an mehr oder weniger wichtiger Stelle verarbeitet war. Diese Erreger konnten das Raumschiff lahmlegen und sogar das Leben auf dem Raumschiff unmöglich machen. Und dabei würde die Besatzung die SIRIUS nicht verlassen können, bevor sie nicht diese Pest überwunden hatte, denn sie würde sie ja sonst hinüberschleppen auf die anderen Schiffe.
Allerdings, korrigierte Lutz seine Befürchtungen, war es ja nicht gesagt, daß die Biester jedes Silikon schmackhaft finden würden…
Henner unterbrach seine Gedanken. „Kommt mit. Wir müssen sofort Verbindung aufnehmen. Sofort.“
Sie gingen in die Zentrale. Rasch warf Henner eine Nachricht auf Papier und gab sie dem Funker. Als sein Blick auf das Pilotenpult fiel, sah er jedoch, daß der Farbkreis, der das Orientierungssystem und damit auch Funk und Bildfunk kontrollierte, wild flackerte. „Die Sender!“ rief er. „Los, schnell, sehen Sie zu, daß Sie den Spruch noch hinauskriegen! Nehmen Sie Sprechfunk, der ist weniger empfindlich!“
Der Pilot schaltete schnell und sprach, aber noch während des Spruchs erlosch der Farbkreis. Die Verbindung war abgebrochen.
„Na, nun haben wir ja Zeit“, sagte Lutz kaltblütig.
„Wir sollten uns beraten“, schlug Sabine vor.
Henner schüttelte den Kopf. „Nicht unvorbereitet.“ Er dachte angestrengt nach. „Kann jemand pfeifen, so mit zwei Fingern, richtig grell?“
Lutz grinste. „Ich will mal sehen, ob’s mit der linken Hand geht“, sagte er und nickte mit dem Kopf zu seinem rechten, bandagierten Arm hin. Dann steckte er Daumen und Zeigefinger der linken Hand in den Mund, zog ihn breit und pfiff so gellend, daß alle zusammenfuhren.
„Gut“, sagte Henner. „Das wird’s tun.“ Dann schaltete er die Rundsprechanlage ein,
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