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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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als vielmehr die Tatsache, daß der Funker dabei eins völlig vergessen zu haben schien: daß nämlich auch dieses Tonband mit der SIRIUS untergehen würde, wenn dieses „Wenn“ einträte. Es gelang ihnen, mit diesem Argument die Stimmung abzufangen, die sich vor allem unter den „Neulingen“ breitzumachen drohte – so wurden alle genannt, die die erste Expedition nicht mitgemacht hatten. Lutz gelang es, das mit einer heiteren Ironie zu tun, die allen wohl und niemandem wehe tat. Aber wie lange würde es dauern, bis diese Ironie in den gefährlicheren Galgenhumor umschlagen würde? Man brauchte einen Erfolg, wenigstens einen kleinen.
    Aber der Erfolg kam nicht. Die Mehrheit glaubte freilich fest daran, daß der menschliche Verstand auch diese Schwierigkeit überwinden könne. Doch diese Überzeugung gründete sich eben nur auf allgemeine Erwägungen philosophischer Natur und leider nicht auf konkrete Ergebnisse, und ein solcher Boden erscheint vor allem Jüngeren, die erst wenig Stürme überstanden haben, bald schwankend und unsicher.
    Yvonne hörte eines Tages dumpfe Schläge, als sie auf den Mittelgang trat. Sie war beunruhigt und ging dem Geräusch nach. In dem Lager, wo einige der eingefangenen Bruchstücke für weitere Analysen aufbewahrt wurden, überraschte sie einen jungen Monteur dabei, wie er mit der Kraft eines Wutausbruchs zwei Brocken gegeneinanderschiug, so daß Gesteinssplitter umherschwirrten.
    „Ja, wenn man die Biester so erledigen könnte!“ sagte sie ohne Spott, aber doch mit einem gewissen Tadel in der Stimme. Der Monteur zeigte sich überhaupt nicht davon beeindruckt. „Mistzeug!“ schimpfte er. „Das hat uns die Pest eingeschleppt!“ Und ging, ohne Yvonne anzusehen, schwerfällig hinaus.
    Yvonne nahm einen faustgroßen Stein in die Hand und betrachtete ihn nachdenklich. Sie wußte nicht mehr, wie lange sie so gestanden hatte, als Lutz hereinsah und verwundert und, wie ihr schien, ein bißchen besorgt fragte, was los sei.
    Sie erzählte ihm mit wenigen Worten und so, wie man etwas ganz Nebensächliches erzählt, was ihr hier begegnet war, und versank dann wieder in Nachdenken.
    Lutz wartete. Es war ihm klar, daß ihr etwas viel Wichtigeres eingefallen sein mußte, wenn sie die Sache mit dem Monteur so nebenbei behandelte.
    Schließlich sagte sie zögernd, fast widerstrebend: „Warum nur haben die Biester auf so einem kleinen Brocken gesessen – und auf den großen Brocken und den Planetoiden nicht? Wie muß es dort ausgesehen haben, wo so etwas wuchs? Wo ist es überhaupt gewachsen? Keine neuen Fragen, und sie bringen uns auch nicht weiter. Man müßte sich um eine präzisere Fragestellung bemühen.“
    Dann aber fiel ihr wieder der Monteur ein, und sie sprachen über sein Verhalten, kamen auf diese Fragen zurück, und so, zwischen dem einen und dem anderen Thema hin und her pendelnd, behandelten sie keins gründlich, und schließlich versickerte das Gespräch.
    Zwei Tage später wurde der Monteur ins Lazarett eingeliefert. Er hatte in einem Anfall von Tobsucht sich und seine Frau gefährlich verletzt.
    „Wir hätten eins von beiden zu Ende denken sollen“, sagte Yvonne grübelnd, als sie mit Lutz darüber sprach. „Eins von beiden. Dann wären wir heute weiter. Gut, nur vielleicht.“ Sie sah ihn an. „Es kommt mir fast vor wie“ – sie scheute ein wenig vor dem Wort –, „wie eine Schuld, die wir abzutragen haben.“
    Lutz nickte. Er fühlte das gleiche. Er fühlte, daß es nicht Leichtfertigkeit war, die sie beide über ihren Fehler so scheinbar leicht hinweggehen ließ, über den Fehler, nicht konsequent und zu Ende gedacht zu haben in einer Sache von Wichtigkeit. Er wußte plötzlich ganz genau, daß ihm bis in ferne Zukunft jedesmal, wenn Gedankenträgheit ihn zu beschleichen drohen würde, die beschämende Erinnerung an jenen vertanen Abend vor zwei Tagen aufstehen und seinen Verstand wecken würde; und er wußte auch, daß es Yvonne ebenso ging.
     
    Fast zur gleichen Zeit hatten auch Wladimir Schtscherbin und Kat eine ernste Unterredung. Sie kam dadurch zustande, daß er sie zu sich bat, nicht in ihr Zimmer, sondern in den Raum des Kommandanten. Sie empfand das als sonderbar und erwartete Überraschendes.
    Sie sprachen über im Grunde belanglose Einzelheiten ihrer Arbeit, und sie wußte genau, daß es gar nicht darum ging. Er wanderte dabei auf und ab, was ebenfalls ungewöhnlich war. Kat war offenes, wenn auch meist überlegtes Reden von ihm gewöhnt, nicht

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