Ein Stern fliegt vorbei
unnötig verkürzt hätte. Deshalb beschloß die Mehrheit, damit noch bis zu dem errechneten Termin zu warten und, wenn dann die Anlage tatsächlich ungestört weiterarbeiten sollte, die debattierte Maßnahme zu ergreifen.
Die meisten, die für diese Verschiebung eingetreten waren, bereuten das schon am nächsten Tag, weil alle anderen Arbeiten auch weiterhin ohne unmittelbares Ergebnis blieben und so die Hoffnungen sich immer mehr auf die Algenkolonien der Regeneration richteten. Dieses schnelle Umschwenken der Meinungen war eines von vielen Zeichen dafür, daß die seelische Situation der Kosmonauten immer kritischer wurde – auch wenn man es ihnen äußerlich nicht ansah.
Vier Tage vergingen. Der fünfte Tag verging. Die Anlage arbeitete störungsfrei. Da öffneten sie einen Strang.
Alle Kaskaden wurden untersucht. Die Silikonteile waren unversehrt. Nirgends Silikophagen.
Warum? Warum? Man mußte den Grund dafür finden!
Sofort wurden mehrere Versuchsreihen angesetzt. Und dann sah Sabine Hellrath im Elektronenmikroskop, wie Silikophagen in die Algen eindrangen.
In weiteren Versuchen wurde festgestellt: Wenn die Erreger die Wahl haben zwischen Silikon und Algen, dann stürzen sie sich auf die Algen, kriechen in sie hinein und bleiben passiv – das war der Grund für das Funktionieren der Anlage, und damit war zugleich die Hauptmethode der Desinfektion gefunden.
Natürlich wurde das alles noch hundertmal geprüft, nach allen Richtungen hin untersucht – aber dann, nach Tagen, war es soweit: Die Besatzung der SIRIUS verließ, nachdem sie einen halben Tag lang in einem Bassin mit grünem Algenbrei zugebracht hatte, durch eine vorher mit konzentrierter Säure ausgewaschene Schleuse gruppenweise ihr Raumschiff. Drei Tage blieb jede Gruppe an Bord einer Operativrakete in Quarantäne. Erst wenn die in den Raketen ausgehängten Silikonplatten auch nach drei Tagen keine Spur von den Erregern zeigten, ging sie an Bord eines der anderen Raumschiffe.
Ihre Begrüßung wurde auf allen Raumschiffen ein Fest. Wein – seltenes, nur zu großen Anlässen erlaubtes Getränk – funkelte in den Gläsern, als Kommandant Schtscherbin sich erhob zu einem Trinkspruch.
„Wir gehen jetzt wieder an unsere Arbeit“, sagte er. „In allen Schleusen werden, zusätzlich zu den vorhandenen biologischen Kontrollen, Algenbassins eingerichtet. Die große Flotte, die nun bald starten wird, kann dank der Beharrlichkeit der SIRIUS-Besatzung ebenfalls damit ausgerüstet werden. Vielleicht war das, was wir jetzt erlebt haben, noch nicht die größte Schwierigkeit dieses Unternehmens, vielleicht stehen uns noch größere bevor, aber“ – er winkte, auf einem Bildschirm erschien die verlassene SIRIUS –, „aber wir sollten, wenn wir das zerstörte Raumschiff nun zum letztenmal sehen, nicht traurig sein. Diese einsame SIRIUS, die wir jetzt verbrennen werden, ist unser Reifezeugnis, unser Diplom. Es wird eine neue SIRIUS geben. Sie wird das Flaggschiff der großen Flotte sein. Hebt deshalb die Gläser und stoßt an: Es lebe die SIRIUS!“
Im gleichen Augenblick begann das Heck der SIRIUS zu glühen. Dann trug ein explosionsartiger Ausbruch das Wrack aus dem Gesichtskreis davon.
VIII
Siebzehn Jahre nach Empfang der Botschaft, von September bis November des Jahres 90 neuer Zeitrechnung, starteten von der Erdumlaufbahn in genau berechnetem Takt die 800 Raumschiffe der großen Flotte zum Trümmerfeld. Mehr als zehntausend Kosmonauten flogen in die Tiefe des Alls, um die Gefahr für den heimatlichen Stern zu bannen.
In den letzten Jahren hatte jeder zweite Bewohner der Erde direkt oder mittelbar für Bau und Ausrüstung dieser Flotte gearbeitet: in den Werften, in der Grundstoffindustrie, in der chemischen, metallurgischen, elektronischen Industrie, in den Forschungsstätten und Konstruktionsbüros, in fast allen wissenschaftlichen Institutionen, auch in denen der Gesellschaftswissenschaften, was verständlich wird, wenn man sich klarmacht, daß die in der Flotte und ihren direkten Liefer- und Zubringeeinrichtungen Arbeitenden mit 2,5 Millionen die Bevölkerungszahl einer Großstadt erreichten.
Jeder zweite Mensch. Das mag, wenn man darauf zurückschaut, als beispielloser Kraftaufwand erscheinen, und ganz sicher wäre das heute, mehr als achtzig Jahre später, auch nicht mehr notwendig. Aber wären wir denn heute ohne diese gewaltige Anstrengung der Menschheit so weit, wie wir tatsächlich sind? Gerade die gesellschaftliche Triebkraft,
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