Ein Stern fliegt vorbei
Zugegeben, es erscheint heute fast undenkbar, daß Fragen, wie sie zwischen Nadja, I-ren und Duncan zu entscheiden waren, über Jahre hinweg in der Schwebe blieben. Aber man darf wohl diese Menschen, die das scheinbar Unmögliche vollbrachten, überhaupt nicht mit dem Alltagsmaß messen.
Trotzdem wäre es vielleicht doch eher zu einer Klärung zwischen Nadja und I-ren gekommen, wenn sie öfter zusammengewesen wären. Da Nadja aber Duncan mied, mußte sie natürlich auch I-ren meiden, und erst als sie sich wieder gegenübergestanden hatten, war ihnen bewußt geworden, daß sich zwischen ihnen fast unbemerkt eine seltsame Freundschaft entwickelt hatte.
Nadja hatte beide zum Sitz des Rates gebeten, um sie aufzufordern, mit der Flotte zum Feld zu fliegen. Ihr Vorschlag wurde sofort und enthusiastisch begrüßt, I-ren und Duncan verstanden, ohne daß Nadja es ihnen erläutern mußte, welche Bedeutung diese Maßnahme hatte. Sie und ihre Mitarbeiter wurden damit unmittelbar in die Bekämpfung der kosmischen Gefahr einbezogen, sie würden an Ort und Stelle sein, und das mußte einen außerordentlichen Ansporn geben, der den Aufwand durchaus rechtfertigen konnte.
Diese sofortige stillschweigende Übereinstimmung versetzte alle drei in eine so frohe und angenehme Laune, daß Nadja vorschlug, die Einzelheiten in den nächsten Tagen zu beraten und diesen Tag statt dessen zu benutzen, bewaffnet mit Filmkamera und Zeichenblock in den hundert Kilometer entfernten Naturschutzpark auf Großwildbeobachtung zu fahren.
Dieser Tag wurde ein Erlebnis, und es wollte den beiden Frauen fast scheinen, als ließen sich die Beziehungen zwischen ihnen dreien auf dieser Ebene, als feste kameradschaftliche Freundschaft, stabilisieren. Auch Duncan, der sonst meist wenig spürte von Nuancen der Stimmung und des Gefühls, die nur so in der Luft lagen, war davon angesteckt.
Dieser Tag war aber auch zugleich ihr letztes großes irdisches Erlebnis. Denn wenn auch noch Monate vergehen sollten bis zu dem jetzt bereits vollzogenen Start der Raumflotte – diese Monate waren so angefüllt mit Arbeiten und Vorbereitungen, daß für solche Erlebnisse kein Raum mehr blieb.
Nun also war die Raumflotte, unter der Leitung von Nadja Iwanowna Shelesnowa, gestartet. Der Abstand des Feldes, das sie erwartete, war auf 1400 AE zusammengeschmolzen, die Zeit, die ein Funkspruch hin und zurück brauchte, betrug nur noch fünfzehn Tage. „Nur noch“, „zusammengeschmolzen“ – das schienen freilich unpassende Ausdrücke zu sein, verglichen mit irdischen Verhältnissen. Aber auch die lange Reisezeit war ja angefüllt mit Arbeit. Immer mehr wurde auf Grund der Informationen vom Vorkommando die Arbeitsplanung präzisiert, und so bildete sich nach und nach die Struktur heraus, die die Flotte beim Feld annehmen mußte.
In den letzten Dezembertagen des Jahres 90 holte die WEGA das erste Raumschiff der Flotte ein, das mit anfangs kleiner, aber stetig wachsender Geschwindigkeit vor dem Feld floh und an diesem Punkt, eine Astronomische Einheit vor dem Zentrum des Feldes, gerade die gleiche Geschwindigkeit hatte.
Die beiden Schiffe lagen antriebslos in etwa hundert Meter Abstand nebeneinander. Das neue Raumschiff schoß eine Leine zur WEGA hinüber, an der die Monteure übersetzten und an der dann die Ladung – Teile für einen Wohnring – aufgehängt wurde. Bereits nach einer Stunde beschleunigte das Raumschiff seinen Flug wieder – zurück zur Erde.
Die Monteure aber begannen im Licht der WEGA-Scheinwerfer mit dem Zusammenbau.
Von da ab traf fast drei Monate lang alle zweieinhalb Stunden ein Raumschiff ein, entlud und flog zurück. Aber obwohl alles zeitlich aufs genaueste miteinander abgestimmt war, gab es doch hier und da Verschiebungen, und die WEGA mußte die anderen Schiffe des Vorkommandos zu Hilfe rufen.
In den ersten Wochen glichen die sechs älteren Schiffe einem Heerlager. Überall saßen, gingen oder schliefen Kosmonauten, überall mußten zusätzliche Möglichkeiten der Verpflegung und Unterbringung improvisiert werden. Für die Besatzungen aber, die schon jahrelang kein fremdes Gesicht mehr gesehen hatten, war das ein Fest.
So entwickelte sich, aus dem planvollen Durcheinander von drei Monaten, langsam die Flotte in ihrer vorhergesehenen Gestalt.
Am Treffpunkt, oder richtiger 1 AE vor dem Feld, sich mit der gleichen Geschwindigkeit wie dieses auf die Sonne zu bewegend und deshalb im Vergleich zum Feld scheinbar in Ruhe, verblieben das Flaggschiff
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