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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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brach ab.
    „Was nur?“
    „Während der Expedition können wir niemand zurückschicken.“
    „Unter den vorgesehenen Expeditionsmitgliedern ist solch ein Fall auch nicht aufgetreten.“
    „Sie sind auch noch nicht so lange hier draußen wie die Monteure.“
    Lutz hatte es ganz leicht hingesagt, aber das brachte Henner doch zum Schweigen. Er wurde nachdenklich, in seinem Gesicht arbeitete es. Schließlich sagte er gequält: „Ich weiß nicht – es muß einem erwachsenen Menschen doch mit einiger Energie möglich sein, so etwas zu überwinden. Oder wenigstens es selbst rechtzeitig zu merken. Was soll denn das erst werden, wenn wir jahrelang im Raum unterwegs sind? Von zwei Dingen eins: Entweder wir haben es mit subjektiven Schwächen zu tun, dann müssen wir die Betreffenden zur Rechenschaft ziehen, und zwar energisch – oder es handelt sich um eine Krankheit, die wir noch nicht kennen, dann müssen wir die Expedition verschieben, weil wir ungenügend darauf vorbereitet sind. Diese Frage müssen die Ärzte entscheiden – aber nun versuchen Sie mal, eine bündige Antwort zu erhalten.“ Und er sah seine Frau dabei an. „Entschuldigen Sie“, wandte sich Sabine an Lutz, „Sie wundern sich vielleicht über unseren Ton, es ist nicht der normale, aber in dieser Frage geraten wir immer aneinander. Der Mensch ist eben keine Maschine, die man in Einzelteile zerlegen und Stück für Stück durchprüfen kann – aber machen Sie das mal einem Techniker begreiflich.“
    Trotz des Ernstes der Situation mußte Lutz ein leichtes Lächeln unterdrücken bei dem Gedanken, daß es Argumente gibt, die jeder für überholt und abgeschmackt hält, die er aber, wenn es darauf ankommt, trotzdem benutzt und die deshalb in tausend Jahren nicht aussterben. Er war ehrlich genug, sich selbst nicht davon auszunehmen, und gelobte sich reuevoll, auch über sich selbst zu grinsen, wenn ihm das mal passieren sollte. Dann schlug er vor: „Es scheint mir am besten zu sein, wenn wir jetzt den Monteur hören.“
    Der Monteur entpuppte sich als ein etwa vierzigjähriger Mann, den Lutz von einer Marsexpedition her kannte – und zwar als zuverlässigen und klugen Mitarbeiter, der ein zupackendes Interesse für alles besaß, was in seiner Umgebung vor sich ging. Der Monteur sah auch keineswegs krank aus, er hatte sich kaum verändert seit jener Zeit, wenn man einen gewissen müden Gesichtsausdruck nicht rechnen wollte.
    Er stutzte, als er Lutz sah, brachte ein mattes „Sie auch hier?“ über die Lippen und setzte sich gleichgültig nieder.
    „Wie fühlen Sie sich?“ begann Henner – nicht allzu freundlich im Ton.
    „Wie soll ich mich fühlen?“ fragte der Monteur zurück, eher teilnahmslos als verwundert.
    „Ich meine: Fühlen Sie sich krank?“
    „Krank? Nein.“
    „Hier ist eine Röntgenfotografie von einer Schweißnaht im Montageabschnitt 11 E 28“, sagte Henner und reichte ihm eine Platte.
    Der Monteur besah sie. „Sitzt nicht ganz korrekt, wie? Hält aber trotzdem hundert Jahre.“ Er sagte das nicht etwa frech und besserwisserisch, sondern mit einer müden Sachlichkeit, als ginge ihn das gar nichts an.
    Henners Gesicht wurde plötzlich faltig, so daß es ganz eingefallen aussah – ein Zeichen großer, zurückgehaltener Erregung bei ihm. Aber er bemühte sich noch, sachlich zu bleiben.
    „Wer garantiert uns, daß Sie nicht noch mehr – und größere Fehler übersehen haben?“
    Der Monteur schüttelte langsam den Kopf. „Das glaube ich nicht“, sagte er düster.
    Henner wurde es für einen Moment rot vor den Augen. Er fühlte sich hilflos, und die Hilflosigkeit drohte in einen Wutausbruch zu explodieren, aber er beherrschte sich mühsam und zählte langsam in Gedanken bis zehn.
    Dann fragte er: „Sind Sie sich klar darüber, daß wir den ganzen Abschnitt noch einmal kontrollieren müssen?“
    „Natürlich.“
    „Und Sie sind sich auch klar darüber, daß mir nichts übrigbleibt, als Sie auf die Erde zu schicken?“
    „Ja, da wird wohl nichts anderes übrigbleiben.“
    Die tödliche Gleichgültigkeit des Mannes ließ Lutz frösteln. Er sprang auf und schrie: „Sie sind ein ganz widerliches Subjekt, ein Lump, ein…“ Er ließ alle möglichen Schimpfwörter, die ihm gerade einfielen, auf den Monteur niederprasseln. Sabine und sogar Henner sahen ihn entsetzt an, der Monteur sah irritiert auf, erhob sich schließlich und brüllte: „Ich verbitte mir das!“ und sank danach wie von einer schweren Arbeit erschöpft auf dem

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