Ein Stern fliegt vorbei
weniger offiziellen Atmosphäre einer kosmischen Verabschiedung und in einem fremden, sachlichen Hotel – oder ob man ihn an der Stätte seines Wirkens erlebt.
Die Enttäuschung war angenehm. Die Sammlung, in einem alten Schloß unweit der Hauptstadt untergebracht, erwies sich als das Gegenteil eines Museums, nämlich als ein Haus, aus dessen sämtlichen Tür- und Fensterritzen Musik zu dringen schien. Professoren, Studenten und interessierte Laien spielten hier auf den Instrumenten vieler Jahrhunderte, auf Nachbildungen natürlich, und die Originale der Sammlung, in Vitrinen und Schränken ausgestellt, gaben eigentlich nur den Hintergrund her für ein ungeheuer lebendiges Getümmel von Tönen, Akkorden und Rhythmen.
Yvonne zeigte hier eine so kindliche Fröhlichkeit, wie sie Lutz an ihr noch nie erlebt hatte; und er wurde sich plötzlich der Tatsache bewußt, daß er sie ja gar nicht unter normalen Bedingungen gekannt hatte. Als sie sich kennenlernten, war er zwar unbelastet und fröhlich gewesen, aber sie hatte schon unter dem Eindruck der kosmischen Gefahr gelebt, und das sogar als eine der wenigen, die damals davon wußten, und mit der Verpflichtung, zu niemandem davon zu sprechen.
Lutz verbarg seine Verwunderung und hütete sich, die Rede auf ihre Arbeit zu bringen. Auch Yvonnes Mutter, Lehrerin für Bekleidung und Kosmetik an einer Oberschule, brachte den Kosmonauten genausoviel Vertrauen in ihre berufliche Tüchtigkeit und genausowenig sachliches Verständnis für ihre Probleme entgegen wie der Vater und schnitt energisch jede aufkeimende Diskussion mit einem „Ihr werdet’s schon machen!“ ab, so daß die beiden fast eine Art zweiter Flitterwochen erlebten, jedenfalls aber einen echten, wirklichen, runden Urlaub, und ihre Zeit mit Ausflügen und Spaziergängen, mit ihrer Tochter, mit Gesprächen über die Künste der Musik und der Bekleidung und mit vielen anderen angenehmen Dingen verbrachten.
Hier, dicht bei Paris, erreichte sie auch der Aufruf des Weltrats an alle Bewohner der Erde, sich mit Vorschlägen und Gedanken an der Lösung des kosmischen Problems zu beteiligen.
Der Aufruf war verbunden mit dem Beschluß des Weltrates, sich eine andere Struktur zu geben, sich zu teilen in einen Irdischen und einen Kosmischen Rat, wobei der letztere in allen Fragen das Primat haben würde.
Davon, daß die Menschen, die wirklich sachkundige Gedanken dazu beisteuern konnten, das durchaus verstanden hatten, zeugte auch die Tatsache, daß teils von einzelnen Personen, teils von Kollektiven Hunderttausende von Vorschlägen, Ideen, ja daß sogar ganze wissenschaftliche Hypothesen eingebracht wurden. Das warf gleich ein Dutzend neuer Probleme auf, von denen nicht das leichteste war, wie man es bewerkstelligen sollte, diese Flut nicht in den Archiven wie im Sand versickern zu lassen.
Es fehlte also nicht an Arbeit. Nadja Shelesnowa war Vorsitzende des Kosmischen Rates geworden, der an den Hängen des Kilimandscharo die UKKA ablöste, dem aber schon zu Beginn seiner Tätigkeit außer allen kosmischen und den meisten wissenschaftlichen Arbeiten auch etwa ein Drittel der industriellen Kapazität der Erde direkt unterstand. Yvonne übernahm die mathematisch-kybernetische Abteilung, arbeitete aber im wesentlichen an den Forschungen Duncan Holidays mit und erledigte die laufenden Aufgaben nebenher. Henner hatte den Raumschiffbau und – was sich als bedeutend schwieriger erwies – die Projektierung des künftigen Raumschiffbaus übertragen bekommen. Ljuba und Miguel trieben sich teils auf der Erde, teils im Asteroidengürtel unseres Sonnensystems herum, eine Technologie des Hoch- und Tiefbaus unter Raumbedingungen zu entwickeln, die für die späteren Arbeiten am Feld gebraucht wurde; Sabine leitete eine kleine, aber aus lauter Kapazitäten bestehende Forschungsgruppe, die sich mit der Raumlethargie beschäftigte; Lutz befaßte sich mit der Soziologie der Raumfahrt – neben seinen Aufgaben als Pressechef, oder besser umgekehrt, das letztere neben dem ersteren; und Wladimir Schtscherbin schließlich bereitete die Struktur, Strategie und Taktik der Kampfflotte vor, die in acht Jahren, im Jahre 90 also, starten und am Feld arbeiten sollte, um dann 95, kurz vor dem errechneten spätesten Zeitpunkt, die Planeten zu sprengen.
Heute – ein Jahrhundert später – werden solche Neureglungen in der Verwaltung der gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse maschinell optimiert. Damals aber ging es nicht ohne anfängliche
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