Ein Stiefel voll Glück - Oskar und Mathilda ; 1
unserer Nachbarn sonst zu einer solchen Unverschämtheit fähig wäre. Aber von diesen Dingen verstehst
du
natürlich nichts. Das wird Herr Schobisch dir alles später beibringen. Vorausgesetzt natürlich, du schwänzt nicht ständig seinen Unterricht.«
Mathilda starrte ihre Mutter an und nickte.
»Ich habe jetzt auch erst mal im Bad zu tun«, sagte sie, sprang aus dem Bett und zischte aus ihrem Zimmer.
Oskar gefiel die neue Schule. Man musste dorthin sechs Haltestellen mit dem Bus fahren und anschließend noch genau eintausendzweihundertsechsunddreißig Schritte laufen. Das war ein gutes Zeichen, und da störte es auch nicht, dass das Gebäude schon ziemlich alt und windschief war. In den Außenwänden fehlten Steine und überall blätterte der Putz ab. Die Treppenstufen waren in der Mitte durchgelatscht und die Klassenräume hätten dringend einen neuen Anstrich gebraucht. Doch überall hingen bunte Bilder und selbst gebastelte Drachen an den Wänden und ließen die Räume gleich viel fröhlicher wirken. Außerdem hatte Oskars Klasse eine sehr nette junge Lehrerin. Sie hieß Ecrin Trüffo, sah aus wie ein Fotomodell und hatte eine wunderbar warme Stimme. Eigentlich schrieb man ihren Nachnamen TRUFFAUT, was damit zusammenhing, dass sie mit einem Franzosen verheiratet war.
»Meine Eltern stammen beide aus der Türkei«, erklärte sie Oskar. »Sie leben aber schon seit über dreißig Jahren hier in Deutschland. Mein Mann heißt übrigens Loron.« Die Lehrerin notierte auch diesen Namen an der Tafel: LAURENT.»Die Franzosen sprechen die Wörter ein wenig anders aus, als sie geschrieben werden«, fuhr sie anschließend fort. »Und bei den Spaniern ist das manchmal auch so.«
Insgesamt beherrschte Frau Truffaut fünf Sprachen, nämlich Deutsch, Englisch, Türkisch, Französisch und Spanisch, und weil auch die Schüler in ihrer Klasse aus allen möglichen europäischen Ländern kamen, konnte sie sich erstklassig mit ihnen verständigen.
Oskar erhielt einen Platz in der dritten Reihe direkt am Fenster. Neben ihm saß Mohammad, dessen Eltern ebenfalls aus der Türkei stammten.
Natürlich hatte Oskar seine Mitschüler sofort durchgezählt und zu seiner großen Freude festgestellt, dass es genau zwanzig waren. Rechnete man ihn dazu, waren einundzwanzig Kinder in der Klasse, also siebenmal die Drei. Noch besser war allerdings, dass nun zwölf – also viermal drei – Mädchen und neun – also dreimal drei – Jungen im Klassenraum saßen. Perfekt! Es schien, als ob sie hier nur auf ihn gewartet hätten!
Montags endete der Unterricht bereits um kurz nach zwölf. Oskar schob den Zettel, auf dem er notiert hatte, welche Hefte und Stifte er sich noch besorgen musste, in die Hosentasche, schulterte seinen Rucksack und schlenderte auf den Schulhof hinaus.
»He, Oskar!«, sagte Philipp, ein Junge mit karottenroten Haaren und lustigen braunen Augen, und knuffte ihn in dieSeite. »Wo wohnste denn eigentlich? Haste ja gar nicht erzählt.«
»Im Veilchenweg«, sagte Oskar.
»Mannomann!«, staunte Philipp. »Dann biste ja ein reicher Schnösel, was?«
»Nee, bin ich nicht«, sagte Oskar. »Wir, also meine Mutter und ich, wohnen da bloß zur Untermiete, und auch nur vorübergehend.«
»Is ja doll!«, staunte Philipp noch mehr. »Hätt ich ja nie gedacht, dass die das machen, diese Schnösel. Hamse doch eigentlich auch gar nich nötig, oder?«
»Herr Heinrichen ist sehr nett«, erwiderte Oskar nur. »Und wo wohnst du?«, fragte er schnell hinterher, weil er keine Lust hatte, noch länger auf diesem Schnöselthema herumzureiten.
»In der Bohmfelder«, sagte Philipp und grinste breit. »Die Gegend ist sozusagen das genaue Gegenteil von Schnösel-City.«
Oskar horchte auf. »Dann kennst du vielleicht einen Julius?«
»Julius … Julius … nee!« Philipp schüttelte den Kopf.
»Der ist schon älter«, sagte Oskar. »So fünfzehn oder sechzehn. Er hatte mal ein Mofa, das vor Kurzem kaputtgegangen ist.«
»Ach so, der!« Philipp schlug sich die Hand gegen die Stirn. »Das muss der Klatsche sein.«
»Julius Klatsche?« Oskar zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
»Nee, nich mit Nachnamen«, sagte Philipp und lachte. »Das ist sein Spitzname, weil er doch dauernd verkloppt wird. Von dem dicken Paul und seinem Köter.«
»Was? Ein Hund verhaut einen Typen!«, rief Oskar verwundert.
»Nee, der Köter zwickt nur. Die Kloppe verteilt der Paul alleine. Der hat nämlich mächtig Muckis unter seinem Schlabberspeck«,
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