Ein Stiefel voll Glück - Oskar und Mathilda ; 1
und die knochigen nackten Füße kerzenwachsbleich und seine Augen riesengroß und starr vor Angst.
»Opa Heinrichen!«, stieß Mathilda hervor. »Was ist passiert? Warum hast du deine Lederschlappen nicht an?«
»Pffft«, machte Opa Heinrichen und sackte wie ein Luftballon in sich zusammen. Er ließ sich auf den Läufer sinken, legte den Kopf in seine Hände und strich sich über die Stirnglatze.
»Kind, Kind, Kind«, sagte er nur.
Mathilda setzte sich neben ihn und legte ihm den Arm auf den Rücken.
»Opa Heinrichen«, flüsterte sie verzweifelt. »Warum hast du das gemacht? Morgen kommt der Staatsanwalt, das weißt du doch. Sie werden dich einsperren. Oskar und seine Mutter müssen wieder wegziehen und ich … ich weiß dann doch auch nicht mehr, wo ich hin soll.«
Ihre Stimme zitterte und eine Träne stahl sich aus ihrem Auge. Rasch wischte Mathilda sie fort. Sie wollte nicht heulen, sondern lieber retten, was noch zu retten war.
»Es … war … hier«, stammelte Opa Heinrichen. »Es … es hat mich aus … aus dem Bett gejagt … durchs ganze Haus. Rauf und wieder runter … Licht an, Licht aus. Alle meine Bananen hat es aufgefressen. Und gejault hat es, Kind, ich sage dir.«
Mathilda glotzte ihn an. »Was meinst du? Doch nicht …« Sie brach ab, denn natürlich fiel ihr sofort wieder diese merkwürdige Gestalt ein, die sie in der Nacht durch den Garten hatte toben sehen. »Opa Heinrichen, das bist doch du gewesen. Oder etwa nicht?«
Der alte Herr ließ die Hände sinken. »Ich?«, sagte er. »Nein, das war ein Geist oder so etwas.« Er sah Mathilda durchdringend an. »Es ist verloren, mein Kind. Alles verloren. Auf diesem Haus liegt ein Fluch.«
»Quatsch«, sagte Mathilda.
Flüche waren was für Hosenscheißer. Außerdem warfen sie ihre Abfälle nicht über Hecken in fremde Gärten. Klar, letzte Nacht, als alles dunkel war, da hatte sie auch Angst gehabt. Und wie! Da hatte sie auch fast gedacht, dass diese weiße Flattergestalt ein Gespenst gewesen sei. Aber das war ja alles völlig hirnrissig.
»Es gibt keine Gespenster, Opa Heinrichen«, sagte Mathilda entschieden. Sie rappelte sich auf die Füße und tastetenach dem Lichtschalter. Klack machte es und die Deckenlampe flackerte auf. »Jemand hat sich verkleidet, verstehst du«, fuhr sie fort und zerrte an Opa Heinrichens Arm. »Jetzt steh endlich auf und lass die Rollos hoch und die Sonne rein. Ich kenn mich hier oben bei dir doch gar nicht aus.«
»Jemand hat sich verkleidet?« Kopfschüttelnd stützte sich Opa Heinrichen auf Mathildas Schulter ab und ließ sich von ihr auf die Beine helfen.
»Ja, und ich hab schon gedacht, du bist das gewesen«, sagte Mathilda. »Weil du durchgedreht bist oder sonst was in der Art. Ich hab das weiße Ding auch gesehen. Es ist durch deinen Garten gewirbelt. Und ich habe gesehen, wie bei dir im Haus das Licht an- und ausgegangen ist. Aber das ist nicht das Schlimmste.«
Der alte Herr sah sie verwirrt an. »Nicht?«
»Nein«, sagte Mathilda und blickte Opa Heinrichen mit ernster Miene an. »Das Schlimmste ist, dass der Rasen neben Mamas Begonienbeet voller Abfall lag.«
Opa Heinrichen runzelte die Stirn. »Lag?«
»Ja, weil ich natürlich sofort alles eingesammelt habe«, erzählte Mathilda. »Es liegt jetzt auf deiner Seite, direkt an der Hecke. Du solltest dich anziehen und das Zeug so schnell wie möglich wegschaffen, damit dir diese dusseligen Polizisten und ihre dämliche Staatsanwaltschaft nichts anhaften können. Ich muss nämlich jetzt rüber und mich fürs Frühstück und den Unterricht fertig machen.«
Opa Heinrichen nickte wie ein Roboter. »Ich verstehe das alles nicht«, krächzte er.
»Ich schon«, erwiderte Mathilda. »Jemand will dir eins auswischen. Dir Angst einjagen. Dich von hier vertreiben. Du hättest dein Haus besser immer abschließen sollen«, fügte sie vorwurfsvoll hinzu. »Zumindest hätte dich dieser Jemand dann nicht so furchtbar erschrecken können.«
Opa Heinrichen nickte noch immer und allmählich kehrte auch der gewohnte Glanz in seinen Blick zurück. »Das werde ich, mein Kind«, schimpfte er los. »Ab sofort werde ich jeden Abend die Tür verriegeln. In mein Haus kommt so leicht keiner mehr rein! Worauf du dich verlassen kannst!«
Dummerweise hatte Frau Drösel ihre heutige Putzrunde ausgerechnet im gelben Salon begonnen. Mathilda drückte sich neben der Verandatür an die Hauswand und dachte fieberhaft über eine Ausrede nach, warum sie sich in aller Herrgottsfrühe
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