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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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kleine Videokamera in der Hand und richtet das Objektiv auf ihre Enkelin.
    Sieht so eine tüdelige, pflegebedürftige Greisin aus?
    Meine Cousine stellt sich auf den Tisch und breitet die Arme weit aus. «Es ist unsinnig, sich dunkle Sachen anzuziehen, dunkle Gedanken zu hegen, sich dunkel zu schminken», verkündet Jade im Predigerton. «Und noch schwachsinniger ist es, auf Friedhöfe zu gehen, um dort die Schwingungen der Toten aufzufangen. Nein, es ist besser, lustige Lieder zu singen und Fastnacht zu feiern, auch außerhalb der Fastnachtszeit.» Sie unterbricht sich: «War das genug?»
    «Singen!», fordert Maria.
    Jade zögert keine Sekunde: «Einer geht noch, einer hat noch Platz, einer geht noch …»
    Ich erkenne meine Cousine nicht wieder …
    «Danke!» Oma legt die Kamera beiseite und reicht ihr ein Küchenpapier.
    «Abschminken!»
    Jade schaut sie bittend an. «Oma, es dauert eine Stunde, das so hinzukriegen.»
    «Abschminken», fordert jetzt auch Maria.
    Für Jade muss sich das anfühlen wie eine Gesichts-Operation. Erstaunlicherweise nimmt sie tatsächlich das weiche Küchenpapier in die Hand und wischt sich die Schminke aus dem Gesicht. Danach bindet Oma ihr noch ein Seidentuch mit schön bunten Blumen um.
    «Wunderbar», ruft sie und schaltet die Kamera wieder ein.
    «Wie sind die Regeln?», frage ich schwer beeindruckt.
    Oma reicht mir den Zettel, der auf dem Tisch liegt. «Auf die Liste hier haben wir sechs verschiedene Möglichkeiten geschrieben, was man machen muss, wenn die entsprechenden Augen kommen. Zwei gute, zwei mittlere und zwei schlechte. Wobei man vorher natürlich diskutieren muss, was
wirklich
gut und
wirklich
schlecht ist.»
    Ich schaue mir den Zettel mit Omas steiler, alter Handschrift an:
    Ich rufe einen Freund an und mache ihm Komplimente.
Ich spende zehn Euro für einen guten Zweck, und zwar sofort, per Internet.
Ich gehe auf die Straße und segne fremde Menschen.
Ich putze sämtliche Fenster des Wintergartens.
Ich bettle zehn Minuten unter Aufsicht der anderen an der Nieblumer Hauptstraße.
Ich stelle mich auf den Tisch und halte eine Rede darüber, warum «Gothic» totaler Schwachsinn ist, und schminke mich ab. Die Rede wird aufgenommen und ins Netz gestellt.
    Letzteres war natürlich nur für Jade schlimm.
    Mich macht vor allem das Segnen stutzig. Oma soll ja vom Balkon aus Passanten gesegnet haben, behaupten einige Insulaner. Könnte dies das Ergebnis eines Würfelspiels gewesen sein? Ich erinnere mich schwach an das Buch eines amerikanischen Psychiaters, das ich vor Jahren gelesen habe. Wenn ich mich richtig erinnere, war seine Grundthese, im Leben sei alles Zufall, insofern könnten wir unsere Handlungen auch auswürfeln, weil es auf dasselbe hinauslaufe. Das Buch wurde in einigen Kleinstädten Australiens verboten, weil dort immer mehr Leute würfelten und ihr Verhalten überhaupt nicht mehr vorhersehbar war. Mal betrogen sie ihre Ehepartner, mal predigten sie Enthaltsamkeit, an einem Tag waren sie Jesus, am nächsten Hitler.
    «Mach doch mit!», fordern mich die drei auf.
    «Vielleicht ein anderes Mal.»
    «Feigling!», ruft Oma. Ich gebe ihr lachend einen Kuss auf die Wange.
     
    Es ist auf jeden Fall der falsche Zeitpunkt für ein Gespräch über die DVD . Ich bin froh, dass sich alle so gut verstehen, das möchte ich nicht zerstören. Maria und ich müssen alles in Ruhe klären, und nicht, wenn Jade und Oma im Haus sind. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich heute Abend noch einen Termin, der meine Arche weit nach vorne bringen könnte. Auch wenn ich dieses Date gerne noch vor mir hergeschoben hätte.
    «Ich fahre gleich weiter», entschuldige ich mich bei Maria und gehe in die Küche. Am Tresen zum halbfertigen Wintergarten schmiere ich mir ein schnelles Brot mit frischem Kräuterquark. Maria kommt zu mir, ihr Gesicht ist immer noch hochrot vom Lachen.
    «Oma stellt Jades Auftritt echt ins Internet», juchzt sie.
    «Seit dem Kurs an der VHS weiß sie auch, wie das geht», antworte ich.
    «Und ihre Enkelin muss das ausbaden.»
    «Danach kann sich Jade auf keinem Friedhof mehr blicken lassen», sage ich grinsend. «Ihre Gothic-Freunde verstehen da bestimmt keinen Spaß.»
    «Wo musst du hin?», fragt Maria und umfasst von hinten meine Hüften.
    «Die Arche voll kriegen», murmele ich. Mein Dispo-Kredit ist bis zum Anschlag ausgereizt, ich erwarte jeden Tag die Kündigung der Bank. Zeit zu handeln, da müssen die Familienangelegenheiten ab und zu zurückstehen.
    «Das

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