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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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stellt sie mir vor: Da ist der schlanke Konditormeister Jens Jensen vom «Café Friesentraum», Christian Rodiek, der weißhaarige Verwaltungsleiter der Inselklinik, der sein Jackett gegen eine abgewetzte blaue Jeansjacke getauscht hat, Lükki von der Feuerwehr, der den Brand bei Oma gelöscht hat, der dicke, glatzköpfige Hotelchef Holger Ketels, der ganz kleine Augen hat, der etwas steife, bärtige Bankangestellte Fritz Jensen von der Nordfriesischen Bank und Bürgermeister Brodersen aus Nieblum mit seinen Bernhardinerwangen, den ich oft bei uns im Ort treffe und der mit meiner Mutter und meinen Onkeln Arne und Cord in einer Straße aufgewachsen ist und jede Geschichte aus ihrer Jugend kennt. Seit er nicht mehr das Häuschen abreißen will, in dem Maria und ich wohnen, gehen wir sogar richtig nett miteinander um.
    «Moin», grüße ich, «ich bin Sönke, aber das wisst ihr ja.»
    «Moin, Moin» von allen Seiten.
    «Wann kommen die anderen?», erkundige ich mich.
    Der dicke Ketels lacht so heftig, sodass seine kleinen Augen fast nicht mehr zu sehen sind. «Was für andere? Es gibt keine anderen!»
    Verstehe, ein überalteter Chor mit Nachwuchssorgen, kurz vorm Abnippeln, und ich soll die Jugendquote heben – mit 36 eine selten gewordene Gelegenheit, auf die ich trotzdem gerne verzichten kann. Kapitän Petersen scheint meine Gedanken zu lesen und grinst mich breit an: «So ist das nun mal, wenn man pauschal gebucht hat.»
    «Lass uns anfangen», drängelt der steife Fritz Jensen. «In genau einer Stunde und 15 Minuten wirft uns der Hausmeister raus.»
    «Was kannst du denn aus’m Stegreif?», erkundigt sich Lükki bei mir.
    Ich überlege: «Hamborger Veermaster.» Als Hamburger Junge lernt man dieses Lied in der Schule noch vor der Nationalhymne.
    Die Männer pulen sich hinter den Tischen heraus und drängen sich hinterm Lehrerpult eng zusammen. Ich stelle mich ganz automatisch zum Tenor, der von vorne gesehen immer links steht.
    «Nee, du nicht», weist Brodersen mich zurecht und schiebt mich sanft nach vorne.
    «Du machst den Vorsänger», erklärt Lükki. Offensichtlich ist das ein Gemeinschaftsbeschluss, der vor meiner Ankunft gefällt wurde.
    «Das ist nicht euer Ernst.»
    Kapitän Petersen schaut mich freundlich-streng an.
    «Und wie!»
    «Ich werde beim Shantysingen immer leicht seekrank», albere ich blöde herum, «außer ich stehe hinten.»
    «Dagegen gibt’s ein altes Hausmittel», kommt es vom Kapitän ungerührt zurück. Er zaubert eine Flasche Köm aus seinem Rucksack und gießt mir ein Schnapsglas ein.
    «Nicht lang schnacken, Kopf in’n Nacken.»
    Ich erinnere ich mich in diesem Moment an den Besuch zweier amerikanischer Studentinnen in meiner Hamburger WG , mit denen ich damals auf den Kiez gegangen bin. Wir waren erst in ein paar coolen Läden, die sie sehr an ihre Heimat Austin, Texas erinnerten. Der Abend lief nicht gut, sie hatten aus irgendeinem Grund schlechte Laune, was weiß ich. Das änderte sich schlagartig, als wir im «Silbersack» landeten, einer Kult-Eckkneipe mit «German unplugged music». Was sie damit meinten, war ein besoffener Akkordeonspieler, der Hans Albers nachahmte. Mein Kurs bei ihnen stieg gewaltig, da ich die meisten Lieder mitsingen konnte: «Auf der Reeperbahn nachts um halb eins …»
    Petersen hängt sich ein Schifferklavier um und gibt ein «A» an alle, die Jungs summen einen Grundakkord in freundlichem Dur.
    Meine Stimme ist noch gar nicht eingesungen. Egal, los geht’s. Ich atme tief in den Bauch und singe: «Ik heff mol een Hamborger Veermaster seen …»
    Die Männer geben mir erstaunlich sanft ein Echo zurück: «To my hooday …» Fühlt sich gar nicht schlecht an.
    Meine Stimme wird fester: «De Masten so scheep as den Schipper sien Been …»
    Wieder fangen die Herren mich verlässlich auf: «… to my hooday, hooday hooohoohooho.»
    Dann singen wir zusammen, den Refrain. Genau wie die Seevögel, mit voller Kraft, aber nicht zu laut: «Blow, Boys, blow, for Californio, there ist plenty of gold, so I’ve been told, on the bank of Sacramento.»
    Es ist verblüffend. Wenn ich tief einatme und die Augen schließe, wird der Körper bis in den letzten Winkel mit frischem Sauerstoff geflutet. Nach einer Weile werde ich so euphorisch, dass ich glaube, fliegen zu können. Und wieder spüre ich das, wovon sonst nur Esoteriker nach einem ihrer Tantra-Reiki-Sushi-Wochenenden berichten: Ich werde ganz leicht. Oma, Maria, alle Geheimnistuereien, die Arche, die

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