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Ein Strandkorb für Oma

Ein Strandkorb für Oma

Titel: Ein Strandkorb für Oma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janne Mommsen
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hier auf alten Baumbestand und die Rotklinkerbauten im Rebbelstieg, wogegen nichts zu sagen ist. In der rötlichen Abendsonne, nach diesem üppigen Hochsommertag, wirkt die
Eilun Feer Skol
wie eine große, stolze Kathedrale, das warme Abendlicht schenkt dem weißen Gebäude so etwas wie Schönheit und Stolz.
    Ich setze mich neben die Halfpipe vor der Haltestelle der Schulbusse, die mit massiven Gittern von der Straße abgetrennt ist. Wann war ich das letzte Mal seit meinem Abschluss in einer Schule? Jetzt fällt es mir ein, zur Stimmabgabe für die Bundestags-, Europa-, Senatswahl, die in meinem Hamburger Wahlkreis immer zwischen Kuscheltieren und Tuschebildern in einer Grundschule stattfand.
    Was die Erinnerungen an meine eigene Schulzeit anbelangt, stehen die Pausen im Vordergrund, in denen ich alle traf, und das jeden Tag verlässlich. Niemals wieder im Leben danach habe ich meine Freunde so oft gesehen, jede und jeder war immer auf dem neusten Stand.
    Die Zeit zwischen den Pausen war deutlich schwieriger. Da fallen mir sofort die etwas dickeren Jungs und Mädchen ein, die es schon so nicht leicht hatten, aber von Sportlehrer Franzius noch extra vorgeführt wurden. Vor der ganzen Klasse. Wir Idioten haben auch noch gelacht, wenn sie wie ein Sack am Reck hingen, hilflos, mit hochrotem Kopf, schwitzend, und Franzius seine Sprüche abließ. Dafür schäme ich mich heute noch.
    Oder Dr. Koschinsky, der Geschichtslehrer, der aus irgendeinem Grund etwas gegen mich hatte und bei dem ich nie über eine Vier hinauskam, obwohl ich vorher immer auf zwei stand. Da halfen keine Elterngespräche, irgendwann war ich so blockiert, dass ich tatsächlich nichts Vernünftiges mehr zustande bekam.
    Ich staune selbst, was mir an der Halfpipe so alles gallebitter hochkommt. Und gleich soll ich wieder zur Schule, zu einer besonders schweren Prüfung. Die entscheidende Prüfungsfrage lautet heute nämlich: Kann ich so tun, als ob ich Shantys gut finde? Kann ich mich wirklich verstellen? Kommt meine Arche nicht auch ohne das in Fahrt? Was ich vorhabe, geht weit über einen Smalltalk am kalten Buffet hinaus. Einem Chor beizutreten, dessen Musik man nicht mag, geht gar nicht. Ich werde es trotzdem probieren.
    Also trotte ich hinüber zum Haupteingang, öffne die Glastür und gehe hinein. Der Sonnenuntergang bleibt draußen, ab hier bewege ich mich vollständig in hellem Neonlicht. Kein Mensch ist zu sehen. In den leeren Gängen riecht es nach kaltem Schweiß und Kunstfaser-Teppichboden, an den Wänden hängen gedruckte Nolde-Aquarelle und Schülerzeichnungen von Dinosauriern.
    Plötzlich habe ich ein Déjà-vu. Mein oft wiederkehrender Albtraum, in dem ich zu einer wichtigen mündlichen Prüfung erwartet werde, aber in einem Labyrinth umherirre, in dem ich den Prüfungsraum nicht finde. Es sah in diesem Traum genauso aus wie hier!
    Ich zögere einen Moment und gehe weiter. Im Gegensatz zu meinem Traum komme ich mit der Raumordnung dieser Schulzentren bestens zurecht, gelernt ist gelernt. Im Nu stehe ich vor der richtigen Tür: Raum A103, Klasse 7 b.
    Ich hole tief Luft.
    Meine Vorurteile gegen Shantychöre sitzen tief: ältere Herren mit weißen Bärten, in Fischerhemden und mit Prinz-Heinrich-Mützen auf dem Kopf, die sich beim Singen tapsig hin- und herwiegen, vermutlich riechen sie stark nach Rasierwasser. Trotzdem hat Kapitän Petersen natürlich recht: Ich kann mich nicht von den Insulanern absondern, wenn ich etwas von ihnen will. Also klopfe ich besonders kräftig, um meine Zweifel zu übertönen.
    Ein paar Männerkehlen grölen kurz und knapp: «Herein!» Klingt nach Bundeswehr, etwa wie: «Stillgestanden!»
    In meiner Schulzeit hätte ich genau gewusst, was mich erwartet hätte, wenn der Lehrer noch nicht da gewesen wäre: das pure Chaos, alle kippeln mit den Stühlen, laufen durcheinander, und jemand kritzelt etwas Versautes an die Tafel.
    Ich reiße die Tür auf. Das Klassenbild sieht genauso aus, wie ich es in Erinnerung habe, nur mit anderer Besetzung. Eine Handvoll Herren um die sechzig lümmelt sich an den Tischen wie die Schüler der 7 b, wenn der Lehrer nicht da ist: gekippelte Stühle, Schuhe auf die Tischplatten, einer kritzelt mit Kreide einen pinkelnden Hund an die Tafel. Alle scheinen noch eine Rechnung mit Schulautoritäten offen zu haben. Das hört offensichtlich nie auf. Sehr sympathisch.
    Kapitän Petersen freut sich, mich zu sehen: «Moin, Sönke.»
    Von den anderen kommen auch freundliche «Moins». Petersen

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