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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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nett.«
    »Nett für wen? Warum sagst du nicht einfach, daß ich zur Zeit in einer Anstalt für moralisch Unsichere bin und erst in einer Weile wieder entlassen werde?«
    Sie schloß ihren Koffer wieder und schnallte die Riemen fest. »Du solltest Mr. P. H. Gaspareau in Elaine, Arkansas, anrufen und ihm sagen, wer du bist, und ihn bitten, Mr. Lamb auszurichten, daß du auf meine Einladung kommst.«
    »Und was passiert dann?«
    Sie lächelte und setzte ihren Koffer schwungvoll auf dem Boden ab.
    »Was zum Teufel mach ich dann da unten?« fragte er.
    »Du strengst dich an, besser gelaunt wieder zurückzukommen«, sagte sie. »Du mußt dem Busfahrer sagen, daß er in Elaine halten soll, sonst fährt er einfach dran vorbei.«
    »Warte mal!«
    »Wußtest du«, sagte sie und sah geistesabwesend aus, »daß 1911 ein paar arme Leute in Arkansas schlafen gegangen und in Mississippi aufgewacht sind? Der Fluß hat um drei Uhr morgens seinen Lauf geändert, und alle mußten sich irgendwie darauf einstellen. Popos Farbiger besteht darauf, daß er im Augenblick, als der Fluß den Lauf änderte, in einem Holzkahn auf dem Wasser war, aber das glaube ich nicht.«
    »Sie wissen ja gar nicht, wer zum Teufel ich überhaupt bin.«
    »Natürlich nicht. Aber du führst einfach ein nettes langes Gespräch mit Popo, erzählst ihm, wer du bist, und gehst ein paarmal mit ihm im Wald spazieren, und beide werden dich mögen.«
    Sie kam auf ihn zu und küßte ihn sanft auf die Wange. »Ich versuche jetzt nicht, dich dazu zu bringen, daß du mit mir schläfst.« Sie lächelte. »Ich habe ja auch noch andere Möglichkeiten. Ich finde sie nicht so gut wie diese, aber ich halte mich gern für anpassungsfähig. Ich hätte nie gedacht, daß du einmal so ernst sein würdest, als wir noch klein waren. So ernst ist doch gar nichts. Früher oder später solltest du das begreifen, und dann wird alles bestens sein.«
    »Woher willst du das wissen?« fragte er.
    »Weil«, sagte sie überzeugt, »für mich immer alles bestens ist.«
    »Was ist eigentlich der Zweck des Ganzen?«
    »Ein bißchen Leichtfertigkeit in dein Leben zu bringen. Im Moment ist es ein bißchen zu düster darin. Schau dir doch bloß mal dieses Zimmer an – es ist schrecklich morbide hier drinnen.«
    »Mir gefällt es«, sagte er.
    »Schön, aber du mußt auf die Insel fahren und ein bißchen leichtfertig sein. Obwohl ich manchmal denke, daß du, wenn du noch leichtfertiger wärst, verloren wärst, Sam.«
    »An wen?«
    »An mich, natürlich«, sagte sie. »Wer ist denn sonst noch da?«
    »Niemand.«
    »Das wollte ich hören«, sagte sie liebevoll. »Genau das wollte ich hören.«
    Der Zug raste durch einen ländlichen Bahnhof, und die Türen ratterten, während er das einsame rote Warnsignal passierte, hinter dem keine wartenden Autos standen. Er schielte hinunter auf die beleuchteten Straßen und versuchte, den Ortsnamen zu lesen, um abschätzen zu können, ob sie schon aus Kentucky heraus und in Tennessee wären oder gerade erst Illinois verlassen hätten und vor Tagesanbruch noch die Hügel vor sich hätten. Aber er konnte nichts erkennen.

6
    In Thibodaux hatte es einen Mann namens Gallitoix gegeben, dem ein Großhandelslager für Nahrungsmittel gehörte. Und seine Mutter hatte den Mercury in der Sonne geparkt, während sein Vater mit gebeugtem Rücken zur Verladerampe hoch- und in das Büro des Mannes hineingegangen war, um ihm einen Frachtwaggon Stärke zu verkaufen. Er saß mit seiner Mutter im Wagen und sah zu, wie die Lieferwagen in der Hitze von der hohen Rampe abfuhren. Die Bezüge der Sitze waren blau und weiß und fühlten sich an wie altes Stroh und rochen auch so. Sie öffnete die Fenster, und es gab keine kühle Brise, nur den süßen Futtergeruch, der mit der heißen Luft aus dem Lagerhaus und über die winzigen gebleichten Muscheln wehte, die den Hof wie Schotter bedeckten, so daß alles weiß war. Seine Mutter zeichnete ihm mit Bleistift auf, wo die einzelnen Gänge lagen, und dort lernte er, während sie fast erstickten, das Autofahren.

7
    Der Zug erreichte Memphis in der Frühe, und das Morgenlicht stand genau hinter den Buchstaben auf den Lagerhäusern der Baumwollhändler. Zwei Leute stiegen aus und eilten in den Bahnhof. Er suchte den ganzen Bahnsteig nach einem Telefon ab, aber die einzige Zelle am Ende der Überdachung war besetzt, und er beschloß, später zu telefonieren.
    Er ging in die Vorhalle und entdeckte den Busbahnhof in dem umgebauten Querschiff der

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