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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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einklemmte. Man faßte automatisch dort nach der Tür, wo man sich mit Sicherheit die Hand klemmte, weil man sie nicht schnell genug wieder rauskriegte. Die Firma kaufte Mercurys für die Handlungsreisenden, und sie klemmten sich alle ihre Hände in den Türen. Mein Vater hat sich die Hand dreimal im Jahr eingequetscht und mußte sich schließlich seine Fingerkuppe abnehmen lassen – er hatte jedes Gefühl darin verloren. Dann bekam er ein Hühnerauge am Fuß von der Kupplung. Ich weiß nicht, wie er das geschafft hat. Es war komisch, ich sah ihn immer im Hotel auf der Waschkommode sitzen, mit einer Rasierklinge an seinem Hühnerauge herumschneiden und dann Dr. Scholl’s draufkleben. Es wirkte immer so komisch, weil er so verdammt groß war. Größer, als ich jetzt bin. Wie auch immer, das Hühnerauge entzündete sich, und es wurde schlimmer und schlimmer, bis er hinkte, und nach einer Weile mußte er einen Stock benutzen, weil der Schmerz, nehme ich an, grauenhaft war. Ich glaube, er hat manchmal geweint. Und meine Mutter hat ihn schließlich dazu gebracht, daß er es sich wegoperieren ließ. Aber danach konnte er nicht mehr aufhören zu hinken. Es war, als glaubte er, sein eines Bein wäre kürzer als das andere, obwohl er doch nur ein Hühnerauge gehabt hatte. Findest du das überhaupt so komisch?«
    »Nein.«
    »Auf einmal kam es mir wieder komisch vor. Es ist komisch, weil er ein Riese war, und all die Dinge, die ihn quälten, waren so klein. Du denkst wahrscheinlich, daß er nicht allzu intelligent war, oder?«
    »Vielleicht«, sagte sie. »Hast du nicht langsam genug davon, ohne Kleider auf der Heizung zu sitzen?«
    »Nein.«
    Sie seufzte.
    »Er hatte einen Herzfehler und mußte deswegen nicht am Zweiten Weltkrieg teilnehmen. Ich weiß nicht, was ihm sonst zugestoßen wäre. Nichts Schlimmeres, nehme ich an.«
    »Glaube ich auch«, sagte sie.
    »Aber das ist der Punkt«, sagte er. »Er tat es so gern, ich glaube, es machte ihm Spaß. Und das war nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste war,  jahrelang  in all diesen beschissenen Zimmern, in denen überhaupt nichts drin stand, zu hocken, in Hammond, Louisiana, und in Tuscaloosa. Man kommt am späten Nachmittag an, trinkt einen Whiskey, geht nach unten und ißt sein Abendessen in irgendeinem fettigen Restaurant voller Fliegendreck, raucht eine King Edward in der Hotellobby, geht wieder aufs Zimmer, liegt im Bett und hört zu, wie die Wasserleitungen furzen, bis es spät genug ist, um zu schlafen. Und das ist alles. Fünf Tage die Woche, sechsundzwanzig Jahre lang. Meine Mutter hat er vielleicht zwei Siebtel der Zeit gesehen. Sie hatten fünfzehn Jahre, bevor ich geboren wurde, geheiratet, und sie waren Freunde. Sie haben sich geliebt. Aber er ist jeden Montag weggefahren, hat gelächelt und gepfiffen, als wär Weihnachten und als machte es ihm unheimlich viel Spaß, oder er war einfach zu dumm, zu unempfindlich, um zu merken, wie es  wirklich  war.« Er dachte eine Weile darüber nach und horchte auf Beebes Atem.
    »Woher weißt du, daß er keine Frau hatte?«
    »Sag das nicht.« Er setzte sich ihr gegenüber, damit er sie besser erkennen konnte. »Warum mußt du das unbedingt glauben? Warum mußt du alles auf das Niveau eines Quickies reduzieren?«
    »Woher weißt du, daß er’s nicht gemacht hat?« fragte sie kühl. »Irgend ’ne kleine Choctaw-Frau oben in Tupelo war vielleicht ganz hübsch, was anderes in Hammond und noch was in Tuscaloosa? Mein Vater kannte einen Mann, der für Gulf arbeitete, mit einer Frau in Mobile verheiratet war und außerdem eine Familie zu Hause hatte. Irgendwas hielt ihn am Leben. Zwei Siebtel ist einfach nicht genug. Es ist mir egal, wie sehr er sie geliebt hat. Da muß etwas gewesen sein, auch wenn’s nichts Wichtigeres war.«
    »Das stimmt nicht«, sagte er.
    »Also gut. Was war es dann?«
    Er stakte zurück über das Parkett. »Das, was ihm Spaß gemacht hat, hat sich auf irgendeine Weise mit seinen Qualen verbunden. Genau das kann einem passieren, wenn man nicht aufpaßt. Sie wachsen zusammen. Und genau das macht mir Sorgen.«
    »Das ist doch lächerlich«, sagte sie und trommelte mit den Fingernägeln auf ihrem Reisekoffer. »Das ist bloß irgend so ’ne Vorstellung, die du dir zurechtgebastelt hast.«
    »Und wofür hältst du die Dinge dann, verdammt noch mal? Wie zum Teufel soll man auch nur eine Scheißsache verstehen, wenn man nicht irgendeine Erklärung dafür findet?«
    »Sie leuchtet mir nur einfach nicht

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