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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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»Himmel. Es gibt wichtigere Dinge. Wie er gestorben ist, war praktisch Slapstick, Himmel noch mal, verglichen mit der Art, wie er gelebt hat.«
    »Dann erzähl mal. Ich muß gleich los.«
    »Ist dir schon mal aufgefallen, daß du nach Belgien fliegst, wie andere Leute für ’ne verdammte Knackwurst über die Straße gehen?«
    »Mir macht das eben Spaß«, sagte sie und lächelte. »Es ist übrigens Holland. Amsterdam ist nicht in Belgien. Eines Tages setz ich mich hin und hör mir deine ganzen Theorien an, aber jetzt hab ich keine Zeit dazu.«
    Er schob seine Hand unter ihren Hemdzipfel und berührte sie am Arm und an der Rundung ihrer Schulter.
    » Da für haben wir auch keine Zeit«, sagte sie. »Wenn du’s mir jetzt nicht erzählst, gehe ich. Ich muß einen Bus am Windermere kriegen und ein Taxi nehmen, um den Bus zu erwischen. Es ist ziemlich kompliziert.« Sie stand auf und ging zu ihrem Reisekoffer.
    »Es ist nicht wichtig«, sagte er.
    »Du sagtest, es wäre wichtiger gewesen als sein Tod«, sagte sie und drückte Fläschchen unter der Kofferkante beiseite. Sie kniete sich hin und versuchte, hineinzusehen.
    »Nur für mich«, sagte er.
    »Gut«, sagte sie, hob ihre Jacke vom Boden auf und knöpfte sie zu. »Dann hau ich jetzt ab.«
    »Es ändert doch überhaupt nichts daran, wenn ich’s dir erzähle, verdammt noch mal«, sagte er. »Du gehörst zu diesen Leuten, die glauben, wenn man etwas nur  aussprechen  kann, dann ist es auch schon gut. Das ist doch völliger Quatsch.«
    »Dann mach ich mich jetzt auf den Weg«, sagte sie freundlich.
    »Aber es bedeutet überhaupt nichts«, sagte er.
    »Dann kannst du’s mir doch erzählen«, sagte sie sanft.
    Er kämpfte sich hoch, stand auf und stellte sich neben die Heizung. Sein Körper wirkte blau in der Dunkelheit.
    »Ich setze mich einfach hierhin«, sagte sie und tastete sich zum Bett hinüber.
    Einen Augenblick lang konnte er ihre Silhouette im Fenster sehen, dann war sie verschwunden. Er konnte das Licht der Gaslampen sehen, das die Spazierwege im Park diffus erscheinen ließ. Er versuchte sich vorzustellen, wie er sich in seinem Zimmer fühlen würde, sobald sie fort wäre, und er dachte, im ersten Augenblick würde es schrecklich sein und später noch viel schlimmer.
    »Newel«, sagte sie geduldig. »Willst du’s mir jetzt erzählen?«
    »Sicher.« Er rieb sich die Brust. »Aber ich muß mir noch überlegen, wie ich’s mache. Man verleiht ja etwas Sinn, das nicht viel Sinn besitzt. Mein Vater ist letztlich unwichtig. Er ist bloß der Bezugspunkt. Ich grüble nur über ihn nach, damit ich jemanden habe, über den ich nachgrübeln kann. Aber ich bleibe immer noch an irgendwelchen Details hängen. Irgend etwas Einfaches an ihnen begreife ich nicht, und ich kriege sie nicht richtig zusammen, um zu kapieren, was es sein könnte. Es ist einfach lächerlich.«
    »Hör auf, hier rumzunuscheln, und erzähl mir, was du mir erzählen wolltest, um Himmels willen.«
    Er stand an die Heizungssprossen gelehnt da und betrachtete ihren Schatten.
    »Ich hab dir schon erzählt, daß er Stärke an Großhändler verkauft hat. Er ist zum Beispiel nach Ville Platte, Louisiana, gefahren, und als ich klein war, bin ich in den Sommermonaten mitgekommen, damit meine Mutter sich erholen konnte. Wir sind dann zu irgendeinem großen Lagerhaus gefahren, er ging hinein und redete mit dem Mann, sie tranken Kaffee, und nach kurzer Zeit holte er dann sein Auftragsbuch raus und schrieb eine Bestellung auf. Dann ging er wieder. Vielleicht verkaufte er auch nichts. Das war’s dann. Dann fuhr er woandershin. Zweihundertfünfzig Kilometer am Tag, sieben Staaten – Mississippi, Arkansas, Louisiana, Tennessee, Alabama, Florida, ein Teil von Texas, Port Arthur.« Er schob sich auf die Heizung und ließ seine Fersen zwischen den Sprossen baumeln. »Das hat er sechsundzwanzig Jahre lang gemacht. Er arbeitete für eine Firma in St. Louis, die Bankrott gemacht hat. Und nach all den Jahren, in denen er immer das gleiche tat, hatte er Narben. Er hatte Hämorrhoiden, die so groß wie mein Daumen waren und in seine Unterwäsche bluteten. Jahrelang hatte er die. Er ließ sie sich herausschneiden, und dann kamen sie wieder. Er hatte ein elastisches Sitzkissen mit Sprungfedern, aber es nützte nichts. Seine Beine waren schlecht durchblutet, weil das Blut von seiner Taille abwärts nicht weiterfloß. Und dann baute Mercury lange Zeit einen Wagentyp mit einer Tür, in der man sich leicht die Finger

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