Ein Stueck meines Herzens
Schachtel und begann dann, den Aufdruck laut vorzulesen. »›Warnung: Nicht schlucken. Die Einnahme kann zu schweren Schäden führen. Für Kinder unzugänglich aufbewahren. Bei eventueller Einnahme sofort einen Arzt verständigen.‹«
»Das reicht«, sagte der alte Mann entschieden, hämmerte mit seinen Knöcheln auf den Tisch, so daß alle Flaschen ein wenig zur Seite rutschten und das Fläschchen mit den Leberpillen umkippte und vom Tisch rollte. »Lan-druu!« schrie er.
Landrieu schob seinen Kopf um den Pfosten herum und blickte mißtrauisch herein.
Mr. Lambs Ingrimm verwandelte sich auf der Stelle in einen Ton kriecherischer Leutseligkeit. »Versuchst du, mich umzubringen, mein Sohn?« Er zeigte mit seinem Daumen freundlich auf die Schachtel.
»Nein, Sar«, sagte Landrieu, als wäre das eine Idee, auf die er einfach noch nie gekommen war, und verschwand wieder aus dem Türrahmen, und seine Stimme verklang auf dem Weg zur Küche, wo er offenbar emsig in irgendeiner Pfanne rührte. »Ich hab heute nich’ versucht, Sie umzubringen«, sagte er.
Mr. Lamb redete weiter mit dem Türrahmen, als wäre Landrieus Kopf immer noch da. »Nun gut, aber irgend jemand hat dieses Kakerlakenpulver zwischen meine Mittelchen gepackt«, sagte er nachdenklich und musterte die Schachtel von vorne bis hinten.
»Ich weiß gar nichts von irgend ’nem ›d-Con‹«, sagte Landrieu, für alle unsichtbar.
Mr. Lamb seufzte und ließ wieder sorgfältig seine Daumen umeinander kreisen. Zunächst bewegte er sie langsam, bis sie den richtigen Rhythmus hatten, und dann ließ er sie mit hoher Geschwindigkeit umeinander rotieren. »Also, da steht doch, daß man das auf keinen Fall einnehmen darf, und irgend jemand muß doch gedacht haben, daß ich vorhab, eins von diesen Mittelchen einzunehmen, als er sie mir hierhergestellt hat.«
Landrieu gab darauf keine Antwort.
Mrs. Lamb beugte sich vor, zog die Kopfhörer heraus, und aus ihrem Radio brach eine laute Stimme hervor, die mit schrecklicher Geschwindigkeit Spanisch sprach. Sie schaute sie beide keck an, als wollte sie zum Ausdruck bringen, daß sie es so gut wie jeder Mexikaner verstand. Der Mann schrie ununterbrochen: » E-u-ro-pa in-cre-i-ble! E-u-ro-pa in-cre-ible! «, und Mrs. Lamb begleitete das Ganze mit einem triumphierenden Lächeln.
»Ich hab dich nicht gebeten, mir irgendein Kakerlakengift mitzubringen«, murmelte Mr. Lamb, vom Radiolärm übertönt, und seine Daumen sausten mit immer größerer Geschwindigkeit umeinander.
»Ich hab bloß das gebracht, was Sie gesagt haben«, sagte Landrieu gereizt durch die offene Tür. »Was immer auf dem Fensterbrett liegt, ist das, was Sie gesagt haben. Das hab ich gebracht. Ich hab nich’ auf irgend ’ne Kakerlakenmedizin geachtet.«
»Das sind schon zwei Leute innerhalb von fünf Minuten, die versucht haben, mich umzubringen«, sagte Mr. Lamb klagend.
»Ich hab nich’ versucht, irgendwen umzubringen«, murmelte Landrieu.
Mrs. Lambs Radio begann, brüchig zu klingen, und das Geräusch drang bis in die letzte Ecke des Hauses. Der alte Mann wirbelte plötzlich in seinem Stuhl herum und schleuderte einen halb haßerfüllten, halb flehentlichen Blick auf Mrs. Lamb, der es offenbar Vergnügen bereitete, daß alle ihrem voll aufgedrehten Radio lauschen mußten. Er fragte sich verstohlen, ob Mrs. Lamb nicht vielleicht katalanischer Herkunft war.
»Würdest du das bitte leiser machen, Fidelia«, sagte Mr. Lamb geduldig, aber nur er konnte ihn hören. Dennoch stöpselte Mrs. Lamb den Stecker wieder in die Buchse, und das Geräusch verschwand, als hätte sich ein unsichtbarer Vorhang im Raum gesenkt, und hinterließ eine unbehagliche Stille. Landrieu brutzelte Schinkenstreifen in der Bratpfanne, und der heiße Schinken verpestete das Zimmer mit einem stechenden Geruch.
Mr. Lamb taxierte geistesabwesend das Heer von Flaschen und Tablettenfläschchen.
»Sind Sie krank?« fragte er den alten Mann, aber er wollte nur das Gefühl der Übelkeit in seinem Magen unterdrücken.
Mr. Lamb schaute ihn seltsam an und preßte die Hände zusammen, so daß seine Daumen aufhören mußten, umeinander zu kreisen. »Das goldene Zeitalter ist vorüber«, sagte er grimmig und drückte, als eine kleine Geste der Frustration, seine Knöchel.
»Vielleicht haben Sie bloß nicht gut geschlafen?« sagte er, lächelte und hoffte, daß der alte Mann nicht vorhatte, ihn erneut zum Anstifter eines Komplotts zu machen.
»Böse Menschen finden nie Ruhe, Newel«,
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