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Ein Stueck meines Herzens

Ein Stueck meines Herzens

Titel: Ein Stueck meines Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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sagte der alte Mann mit einem schwachen diebischen Leuchten in seinen Augen.
    »Warum gehen Sie nicht zum Arzt?«
    Der alte Mann hob den Kopf, um sein Ohr wieder auf den Ton auszurichten. »Was war das?« fragte er.
    »Zum Arzt gehen?« fragte er und war nicht mehr so zuversichtlich.
    Mr. Lamb starrte ihn scharf an, als ob ihm gerade eine Beleidigung zugefügt worden wäre, die er um keinen Preis ignorieren wollte. »Weil ich, verdammt noch mal, nicht will, deshalb«, sagte er, und seine Augen zogen sich zu harten kleinen Strichen zusammen. »Die Scheißkerle fallen über einen her wie Ameisen über einen Kuchen«, sagte er entrüstet. »Wenn sie mit ihrem Stochern und Schnippeln fertig sind, ist nichts mehr da, was man noch mit nach Hause nehmen kann. Deshalb, Himmel, Arsch und Zwirn.« Der alte Mann biß die Zähne zusammen und preßte seine Fäuste auf den Tisch, als habe er vor, sich in die Luft zu erheben.
    »Das finde ich auch«, sagte er.
    »Was war das?« Mr. Lamb gab dem defekten Ohr einen ordentlichen Schlag mit seiner Handkante.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich mag auch keine Ärzte.« Sein Magen fühlte sich ein wenig besser an.
    Der alte Mann funkelte ihn an, als ob er den Verdacht hegte, daß ein Komplott geschmiedet würde und er das dazu ausersehene Opfer wäre. »Ach nein?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?« Der alte Mann senkte seinen Kopf fast bis auf seine Schulter, als glaubte er, daß er so erheblich besser hören könnte.
    »Die sehen immer nur Krankheiten«, sagte er, »und deshalb nehmen sie auch nichts anderes mehr wahr.« Er nahm die Hände aus dem Schoß und legte sie so auf den Tisch, wie der alte Mann seine hingelegt hatte. »Wenn sie nicht gleich was finden, suchen sie weiter. Sie haben es nicht gelernt, Gesundheit zu erkennen, und deshalb mag ich sie nicht.«
    Die Zähne des alten Mannes schlenkerten leicht in seinem Mund herum, und er stieß sie mit der Zunge wieder hoch. »Ach, meinen Sie?«
    »Ja.«
    Mr. Lamb ließ seinen Blick langsam auf das Heer der Flaschen sinken, als erwartete er, daß sie etwas sagten, und als sie’s nicht taten, fegte er sie alle mit einer achtlosen Armbewegung vom Tisch herunter auf den Fußboden. Und das Scheppern war ungeheuer. Landrieu sprang in das Zimmer, und Mr. Lamb warf ihm einen gequälten Blick zu.
    »Warum haben Sie das gemacht?« schrie Landrieu.
    »Was?«
    »Sie runtergeschmissen und mich so erschreckt?« Landrieu machte eine ruckartige Handbewegung, um auf die Flaschen hinzuweisen, die gerade auf den Boden gefallen waren.
    Mr. Lambs Ausdruck reiner Unschuld verwandelte sich in den blanker Böswilligkeit, was bedeutete, daß Landrieu gerade unvorsichtigerweise sein Konto überzogen hatte. Er drehte sich langsam im Stuhl um und ließ seinen Blick auf Mrs. Lamb fallen, die auf das Geschepper überhaupt nicht reagiert hatte. Sie saß da, hatte ihnen den Rücken zugedreht, schaute aus dem Fenster hinaus in die Dunkelheit und lauschte immer noch, wie er annahm, mexikanischen Werbespots für Auslandsreisen. Mr. Lamb wandte seinen Blick wieder zurück, als hätte er gerade mit Mrs. Lamb gesprochen und Landrieus Namen im Zusammenhang mit einer unanständigen Lüge gehört. »Sie hat nichts gehört«, sagte er verächtlich. »Ich auch nicht. Der Kerl hier auch nicht.« Er zwinkerte heftig. »Du bist der einzige, der irgendwas gehört hat.«
    Landrieus Gesicht wurde bedeutend härter. »Ich werde bestimmt nichts aufsammeln, was keiner gehört hat«, sagte er und verschwand.
    Der alte Mann fummelte an seiner Serviette herum, kniff die eine Ecke zu einem festen Geschoß zusammen und rammte es in sein gutes Ohr und verpaßte dem Ohr eine großzügige Bohrung. Er zog seinen Mundwinkel hoch zu einem idiotischen Grinsen und vergaß Landrieu vollkommen. »Sie mögen diese Blinddarmschnippler auch nicht, hä?« sagte er, zuckte heftig und zog die Lippe noch höher, als versuchte er, durch die Bohrgeräusche, die in seinem Kopf dröhnten, hindurchzuhören.
    »Nein, Sir«, sagte er und empfand leichte Schuldgefühle gegenüber Landrieu.
    »Ich auch nicht«, sagte der alte Mann und zog die Serviette mit ihrem wächsernen Zipfel wieder heraus, als wäre sie ein Goldstück. »Ich fühl mich jedesmal automatisch schlechter, wenn ich in ihre Nähe komme.«
    Mr. Lamb rutschte auf seinem Stuhl herum und beugte sich vor, bis er fast an sein Gesicht stieß. Dabei scheuchten die Füße des alten Mannes versehentlich einige der Flaschen auf und ließen sie übers Parkett rollen,

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