Ein Stueck vom Himmel
Eigers.
Toni hatte noch als ganz Junger in unserer Bergsteigergruppe einen Vortrag über Klettertouren im Rätikon gehalten. Am nächsten Tag zeigte ich ihm Wien. Und am Abend gingen wir in die Oper, natürlich Stehplatz. In Bundhose und Lodenjoppe war aber (damals!) der Toni nicht opernfähig, daher borgte ich ihm einen Anzug. Dieser passte ihm nicht ganz: Die Hose endete an seinen Wadln, die Rockärmel am Ellbogen.
Verdis »Macht des Schicksals«. Großer Applaus nach dem ersten Akt.
Toni stand da wie ein Stock. »Gefällt’s dir nicht?«, fragte ich ihn.
»Herrlich ist’s!«
»Warum applaudierst du nicht?«
Toni sah mich g’schmerzt an ... »Weil i net kann. Wenn i posch, dann ist dein schöner Anzug in Fetzen!«
Sooft wir uns trafen, haben wir auch über dies oder das diskutiert und meistens waren wir gleicher Meinung. Nur über den Eiger nicht. Für Toni war er kein plumper Klotz und die Nordwand ein Ziel, das jeden Extrembergsteiger in seinen Bann ziehen musste.
Mich nicht. Mich hat nur das Schicksal eines Jungen bewegt, der in diesen Bann geraten ist.
Engelbert Titl ist 1958 am Eiger verschollen. Er war einer aus unserer Bergsteigergruppe, und wir waren etwas überrascht, als wir hörten, dass er in die Eigerwand wollte. Er hatte zwar schon etliche gute Bergtouren gemacht, aber der eher sanfte »Engerl« war kein Eigermann.
In Grindelwald wollte er sich mit seinem Partner treffen und war schon einige Tage vorher dort. Als der Partner nach Grindelwald kam, war Engerl bereits abgängig. Es wurde angenommen, dass er den Abstiegsweg – die Südwestflanke – erkunden wollte und dabei verunglückt ist.
Nachdem unsere Bergsteigergruppe davon benachrichtigt worden ist, wollten wir sofort zum Eiger fahren, um Engerl zu bergen. Allerdings: Keiner von uns kannte den Eiger. Erich Waschak kannte ihn. Er klärte uns auf, welche Riesenwand die Südwestflanke ist und wie klein unsere Chance wäre, Engerl zu finden. Erst drei Jahre später wurde er bei einer Totenbergung – reiner Zufall – ebenfalls gefunden.
1962 hatte ich in Hallein einen Vortrag und nachher war ich am Samstag/Sonntag mit einigen Jungen im Tennengebirge klettern. Einer sagte dann ganz spontan zu mir: »Du, ich möcht heuer die Eiger-Nordwand machen!« Und gleich darauf: »Ich hab aber ka guates G’fühl!«
»Dann mach was anderes!«
»Du Charly ... als Alter verstehst das nicht!« (Damals war ich 39 Jahre alt.) »Aber als Junger musst du heut die Eigerwand machen!«
»Sterben musst auf dieser Welt – sonst nix!«
Auch das war für Egon Moderegger kein Argument. Im August 1962 stürzte er mit dem Engländer Tom Carruthers auf dem zweiten Eisfeld in der Eigerwand tödlich ab.
Und dann kam der 2. Jänner 1979.
Schwanda rief an, wünschte alles Gute fürs neue Jahr ...
»Du weißt ja, was heuer is?«
Ich wusste es nicht.
»Meinen 75. Geburtstag hab i heuer!« Das wusste ich schon.
»Und weißt du, was ich mir als Geburtstagstour wünsche?«
Das wusste ich nicht.
»Den Mittellegigrat am Eiger!«
So geriet auch ich in den Bann des Eigers.
Geburtstagsparty auf dem Eiger
Den fünfzigsten Geburtstag von Hans Schwanda hatten wir 1954 auf dem Antelao in den Dolomiten gefeiert. Das waren 4500 Höhenmeter im Auf- und Abstieg an einem Tag: von San Vito di Cadore (1911 m) zur Forcella Salvello und dann über die Stösserkante (Schwierigkeitsgrad V) zum Gipfel (3263 m) und den Normalweg wieder hinunter nach San Vito. Nach dem langen Zustieg (fünf Stunden) jubelte Schwanda im Steilfels der Kante: »Kinder, nach so einem langen Hatscher weiß man dann richtig, wie herrlich das Klettern ist!«
»Früher war Klettern ein Altherrensport!«, hatte 2009 in einem Interview für die Zeitschrift »profil« eine junge Weltmeisterin im Sportklettern gesagt. Erst durch das Klettern in Hallen sei es jung und dynamisch geworden. (Ob die Weltmeisterin nach fünf Stunden Zustieg das Klettern ebenfalls noch als herrlich empfinden würde?)
Seit diesem fünfzigsten Geburtstag von Schwanda haben wir dann an allen folgenden Geburtstagen eine exquisite Tour gemacht, so etwas wie zum Beispiel die Wilde Badstube in den Lienzer Dolomiten.
Dies ist ein Hochkar unterhalb des Spitzkofels, das zum Drautal mit ungangbaren Steilwänden abbricht und nur zwei Zugänge hat: einen von oben über das Badstubentörl und einen von unten über die »Singende Bühellücke«. (Welche Poesie doch in den alten Bergnamen steckt!)
Der Gebietskenner O. W. Steiner schrieb über
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