Ein Stueck vom Himmel
diese Wilde Badstube: »Sie ist wohl eines der schwierigst zugänglichen Kare unserer Alpen und vermutlich die am seltensten betretene Örtlichkeit Österreichs.« Und der große Erschließer der Lienzer Dolomiten, Rudi Eller, nannte sie »eine Gegend zum Fürchten«. Lothar Patera, Verfasser des alten Lienzer Dolomitenführers, meinte, dass allein schon das Erreichen dieses »todesöden Weltwinkels« eine ernste Bergfahrt darstelle. Hubert Peterka, Verfasser des neuen Lienzer Dolomitenführers, schreibt sachlich über die Wilde Badstube: »Mühevoll, eindrucksvolle Landschaft, verlangt gutes Bergsteigen nebst sicherer Orientierung.«
Die Hüttenwirtin vom Schutzhaus auf der Kerschbaumeralm sagte uns, dass nur alle fünf oder zehn Jahre einige Ganznarrische in die Wilde Badstube gehen. (Aus den Ganznarrischen wurden aber sofort »erfahrene Bergsteiger«, nachdem die Frau erfahren hatte, dass auch wir in die Badstube wollten.)
Eine exquisite Bergtour also, und als eine solche sah Schwanda für seinen 75. Geburtstag den Mittellegigrat am Eiger an.
Der Eiger ist ein mächtiger Berg, aber er ist kein Viertausender – dafür fehlen ihm lumpige 30 Meter. Zum ersten Mal erstiegen wurde er im Jahre 1885 von dem Engländer Charles Barrington mit den Führern Christian Almer und Peter Bohren. Der nicht sehr vermögende Engländer hatte damals die Qual der Wahl zwischen einer Erstersteigung des Matterhornes oder des Eigers. Er entschied sich dann für den Eiger, weil der ihm billiger kam.
1874 fand der erste Versuch statt, den steilen Nordostgrat, den Mittellegigrat zu bezwingen. Dieser und auch die folgenden Versuche in den Jahren 1878/79/81 endeten alle unter dem großen Steilaufschwung unterhalb des Gipfelgrates. 1885 kam der Wiener Moriz von Kuffner nach Grindelwald, ein reicher Mann, der es sich leisten konnte, als Ferienvergnügen »eine bis dahin nicht gelungene Tour zu probiren«. Mit den Führerstars dieser Zeit, mit Alexander Burgener und J. M. Biener und dem Walliser A. Kalbermatter, »probirte« er also den seit 1874 vergeblich zu erklettern versuchten Mittellegigrat. Man war recht zuversichtlich, hatte sogar einige Raketen mit, die man bei einem Biwak am Grat zur Belustigung der Gäste Grindelwalds in die Lüfte zischen lassen wollte ...
Es gab jedoch kein Feuerwerk! Auch dieser Versuch, den Grat zu bezwingen, scheiterte an dem großen Steilaufschwung, den man damals »Eigerwand« nannte. Unter dieser Wand beschloss dann die geschlagene Gesellschaft, den Mittellegigrat im Abstieg zu versuchen.
Ausgerüstet mit einem 100 Meter langen bleistiftdicken Seil, mit Seiden- und Manilahanfseilen erstieg man über die Südwestflanke den Gipfel und überschritt die Gipfelschneide bis zum großen Abbruch.
Kuffner erzählt: »Bevor wir mit dem Abstieg begannen, richteten wir eine Flagge auf, zu welcher Burgener seinen Pickel und ich ein Reservehemd beisteuerte; denn wir ahnten, dass zahlreiche bewaffnete Augen nunmehr von Grindelwald auf uns gerichtet würden. Thatsächlich wurden wir auch, wie wir später erfuhren, in diesem Augenblicke gesehen und auch während des übrigen Theiles des Tages beobachtet, so dass ich wohl, ohne unbescheiden zu sein, sagen darf, dass wir an jenem Tage wahrscheinlich die angesehensten Persönlichkeiten in der ganzen Schweiz waren.«
Wie man sieht, waren auch schon unsere alpinen Urgroßväter für ein bisserl Tamtam beim Bergsteigen!
Um das Abenteuerliche dieses Unternehmens wirklich zu erfassen, sei bedacht, dass es damals noch keine Abseiltechnik und noch keinen brauchbaren Abseilsitz gab (Dülfer, der den Dülfersitz erfand, war noch nicht einmal geboren!). Zu dieser Zeit hantelte man sich noch am Seil tiefer, und die einzige Entlastung bestand darin, dass man den Strick einmal um ein Bein oder über den Schenkel schlang. An senkrechten oder überhängenden Wandstellen kostete dieses »Abseilen« natürlich unendlich viel Kraft.
Fast fünf Stunden brauchten die vier Männer für den Abstieg über die »Eigerwand«. Kleine Felszacken waren ihr Abseilhalt; kein Mauerhaken, keine Seilschlinge gab ihnen Sicherung auf den oft recht kleinen Standplätzen in der steilen Wand. Die alpine Technik war damals noch unterentwickelt – nicht aber das Können der Bergsteiger.
Unter der »Eigerwand« kannte die Seilschaft den Grat schon von dem gescheiterten Aufstiegsversuch. Trotzdem erreichte sie erst in finsterer Nacht die »Eigerhöhle«, die vor der Erbauung der Mittellegihütte der
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