Ein Stueck vom Himmel
seid’s!«
Am nächsten Morgen sagte Harrer: »Schleichen wir uns ganz still aus der Hütten raus! Sonst schimpft wieder der Hüttenwirt!« Heinrich Harrer war immer ein stiller, bescheidener Mensch. Er war nie der wilde Rabauke, wie ihn Brad Pitt in dem Film »Sieben Jahre in Tibet« dargestellt hat.
»In den letzten Monaten bin ich etwas verweichlicht«, hatte Harrer gesagt. Und ich war heilfroh, dass er das war. Von Anfang an legte er gleich ein höllisches Tempo vor – so als hätte er ein Rennpferd geschluckt. Und im Fels war er so flink, als hätte er keine neunjährige Kletterpause hinter sich. »Der stille Heini ist ein wilder Hund!«, hatte Kasparek über ihn gesagt.
Um sechs Uhr früh waren wir von der Gaudeamushütte losgezogen. Um acht Uhr waren wir auf dem Gipfel und um neun Uhr schon wieder bei der Gaudeamushütte.
»Ist der Kopftörlgrat schon gestürmt?«, fragte mich der Hofer Peter.
»Ist gestürmt«, sagte ich.
Da wurde der Peter sehr ernst. »Du Buberl, tu mich nicht foppen. Wenn ihr zwei wirklich den Kopftörlgrat gemacht habt, dann könnt ihr nicht schon wieder zurück sein!«
Acht Stunden gelten als gute Normalzeit für die Tour: Gaudeamushütte – Kopftörlgrat (Ellmauer Halt, 2344 m) – Gaudeamushütte, 1240 m.
Jetzt wollte der Peter von mir alles genau wissen; ob ich schon einmal im Leben geklettert bin? Ob ich auch schon im Kaiser geklettert bin? Welche Touren?
»Dann hab ich mich in dir geirrt, weil du gar nicht wie ein Kletterer ausschaust«, sagte der Peter am Ende seines Verhörs. »Jetzt sag mir nur noch, wer der ältere Herr ist?«
»Der ältere Herr ist der Heini Harrer!«
Da schnappte der Peter nach Luft ... »Leut, wie könnt’s ihr auch nur so wie Traummännlein daherkommen?«
Kleider machen Leute.
Auch Anderl Heckmair war schon ein älterer Herr, als wir die Höfats erstiegen. Die Höfats ist der berühmteste Grasberg der Alpen und auch einer der berüchtigtsten. »An dem Berg muss man eine Ziege mitnehmen, die vorher das Gras wegfrisst!«, sagen die Kletterer. Mich hatte der Grasberg mit den steilen Graswänden fasziniert. Schwanda hingegen freute es gar nicht, nur an Grashalmen Klimmzüge zu machen. Als ich ihn dann aber doch für die Höfats überredet hatte, besuchten wir vorher Anderl Heckmair in Oberstdorf, um mehr über den Berg zu erfragen.
Heckmair sagte: »Würde die Höfats nicht vor meiner Haustür stehen, würde ich sogar Zehntausende Kilometer weit fahren, um sie zu ersteigen. Es gibt Eisberge, es gibt Felsberge, aber es gibt nur einen Grasberg wie die Höfats. Aber was red ich lang ... ich geh morgen mit euch!«
Wir gingen lange seilfrei, erst höher oben seilten wir uns an. Erstaunt schaute Anderl dem Schwanda zu, wie sich dieser ins Seil band. »Wie seilst du dich denn an?«
»Na, so wie ich mich immer anseile!«
»Und da lebst du noch?«
Darauf zeigte der Bergführer Heckmair meinem hochverehrten 67-jährigen alpinen Lehrmeister Schwanda, wie man sich richtig anseilt. Und mich fragte er grinsend: »Hast du dir keinen besseren Lehrmeister aussuchen können?«
Wir kletterten in zwei Seilschaften – eine war eine Botanikerseilschaft, die andere eine stinknormale.
Schwanda und ich waren begeistert von der Blumenpracht an der Höfats, aber wir mussten nicht von jedem Blümlein den Namen wissen. Als Fritzerl Schwanda eine besonders schöne Bärtige Glockenblume (Campanula barbata) zeigte, wollte er nur wissen, warum sie sich nicht rasiert.
Heckmair war Gärtner, bevor er Bergführer wurde, Fritzerl hatte in der Lehrerbildungsanstalt eine Arbeit über Alpenblumen verfasst. An der Höfats bewegten sich die zwei nicht schrittweise höher, sondern von Blume zu Blume. Und wenn diese ein besonders seltenes oder schönes Exemplar war, dann waren sie davon kaum wegzukriegen. Schwanda: »Wenn’s in der Eigerwand Blumen gäbert, dann hätte der Anderl ein Jahr für die Erstbegehung gebraucht!«
Einmal sagte ich Anderl, dass der Eiger ein Berg ist, den ich gar nicht so mag. Worauf er sagte: »Der Eiger ist auch kein Berg zum Gernhaben!«
Toni Hiebeler konnte meine Antipathie nicht verstehen. Er hatte 1961 die erste Winterbegehung der Eigerwand organisiert und durchgeführt, hatte 1964 das Buch »Eigerwand. Der Tod klettert mit« herausgebracht und war als Reporter für die Zeitschriften »Der Bergkamerad« und »Alpinismus« stets am Schauplatz, wenn die Eigerwand wieder einmal zur »Mordwand« geworden war. Er stand voll und ganz im Banne des
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