Ein Stueck vom Himmel
würden.
Aber das war ein Aberglaube.
Der Einstieg des Südostgrates sollte eine »delikate Querung« nach links sein, nach der eine brüchige Wand zu erklettern ist. Schnell hatte Adi die Querung derpackt und war hinter einer Kante verschwunden. Dann war von ihm nichts mehr zu hören, auch das Seil lief nicht mehr weiter ... bis er wieder um die Kante zurückkam: »Da gibts kein brüchiges Wandl, nur Überhänge!«
»Die möcht ich mir anschauen!«, sagte Schwanda, und als dann hinter der Kante ein Krampfschrei zu hören war, wussten wir, dass auch er die Überhänge gesehen hatte.
Wir hatten zwei Führer mit: den deutschen »Hochtourist« und den italienischen Alpenklubführer. In beiden glichen die Beschreibungen dem Orakel von Delphi, bei dem es bekanntlich auf die Auslegung des Spruchs ankam. Was ist eine delikate Querung? Wir haben dann noch drei andere Querungen gefunden, eine delikater als die andere, und keine war die Richtige.
Schließlich resignierten wir. »Machen wir den Normalweg!«
Wieder griffen wir nach unseren zwei Orakelführern und wiederum beseitigten sie jeden Rest von Klarheit. Wo ist der Normalweg? Es gab keine Pfadspuren im Geröll, keine Steinmänner, nichts, was verriet, dass da schon einmal Menschen unterwegs waren.
Damals (1969) gehörte das Wegsuchen noch zum Abenteuer Berg. Die Berge waren noch weniger erschlossen, die Führerwerke noch nicht so perfekt. Von Schwanda – einen Meister im Wegfinden – hatten wir gelernt, dass am Berg ein wildes Drauflosstürmen nichts bringt. Vorher müssen die Augen den Weg gefunden haben.
Aber auch Meister sind nicht vollkommen. Am Monte Duranno sind Meister und Schüler drauflosgestürmt wie junge Hunde, weil sie glaubten, dass an einem solchen markanten Berg die vielen Begeher auch viele Spuren hinterlassen müssten. Aber anscheinend waren wir vier Wiener die Ersten, denen dieser Berg zum Traumberg geworden ist.
Vom späten Vormittag bis weit in den Nachmittag sind wir kreuz und quer und hinauf und wieder hinunter geklettert ... für nix und wieder nix! Dann war es so spät geworden, dass es – auch wenn wir den Einstieg gefunden hätten – zum Einsteigen schon zu spät geworden war.
»Wir kommen wieder!«, sagen Kletterer, wenn sie wo abgeblitzt sind. Wir sagten es nicht.
Wir hätten zwar noch einen Tag Zeit zum Wiederkommen gehabt, hatten aber unseren Proviant schon bis aufs letzte Brotscherzl verdrückt und waren hungrig wie Wölfe. Jeder von uns hatte gedacht, dass wir den Zapfen sofort und ruckzuck derpacken würden.
Jetzt mussten wir im Rifugio unser Zeug wieder zusammenpacken. Grantig waren wir. Und da ein Jubelschrei: »Kinder, schaut’s, was ich entdeckt hab!« Das neugierige Fritzerl hatte beim Zusammenräumen einen großen Kasten geöffnet, der voll war mit Lebensmitteln. Es war ein Supermarkt an Delikatessen ... dünne und dicke Nudeln, Dosen mit erlesenen Spezialitäten, Zwieback und Kekse. Und auf einem Zettel war zu lesen, dass die Mitglieder der C.A.I.-Sektion Maniago ihren nicht verzehrten Proviant gerne allen Nachfolgern überlassen.
»Duranno-Zapfen, jetzt kommen wir wieder!«, rief Schwanda. Diesmal wollten wir uns vorher die Südwand genau anschauen und uns mit eigenen Augen den besten Weg suchen – so als ob wir die Erstersteiger des Berges wären. Das taten wir auch und erreichten in schöner Kletterei in festem Fels den Fuß vom Gipfelaufbau. Dort standen wir unter einem der bizarrsten Alpengipfel: einem hohen Sand- und Schotterhaufen mit einigen Felsblöcken dazwischen. Um auf dem Gipfel besser sitzen zu können, musste ich mit den Händen etwa zehn Zentimeter Sand wegwischen (seither ist der Monte Duranno nur noch 2687 Meter und 90 Zentimeter hoch). Lang blieb ich nicht sitzen. Alle waren wir unruhig. Keine Gipfelfreude, kein Gipfelglück. Wir hatten Angst, dass der Sand- und Schotterhaufen bei einem Windstoß mit uns abrutschen würde. Vorsichtig, ganz vorsichtig stiegen wir ab und hielten unsere Gipfelrast unterhalb von ihm auf festem Boden ab. Für mich war er der erste und einzige Gipfel, auf dem ich mich gefürchtet habe.
An diesen unheimlichen Gipfel und an den neu angelegten und teilweise schon wieder in die Tiefe abgerutschten Weg zum Rifugio Maniago mussten wir denken, als wir nach dem Abstieg wieder vor dem Katastrophenstaubecken standen. Wie konnte nur in einem so rutschfreudigen Bergland ein Wasserkraftwerk erbaut werden? Wenn die Erbauer vorher auf den Monte Duranno gestiegen wären, so wie
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