Ein Stueck vom Himmel
gefallen. Wenn’s wenigstens ein Großer oder Hoher Schneeklammkopf gewesen wäre ...
»Also, wir machen die Wand von dem Schneeklammklapf!«, sagte ich zu Peter Radacher.
»Der Berg heißt noch immer Schneeklammkopf!«, knurrte der leicht sauer. »Und außerdem hat die Wand nur darauf gewartet, dass ihr goscherten Weaner daherkommt!«
Radacher und unser Sepp Brunhuber waren Freunde seit ihrer Heeresbergführer-Zeit in Fulpmes. Radacher zu Brunhuber: »Sepp, lass diese jungen Hupfer net so blödsinnig losgaloppieren! Die san doch noch müd von der Fahrt!«
Brunhuber: »Die sind net müd! Die sind felshungrig. Die packen den Zapfen!«
Wir wussten, dass Erstbegeher ihre Erstbegehungen vorher durch ein Fernglas oder Fernrohr genau studieren. Wir hatten weder ein Fernglas noch ein Fernrohr. Wir konnten nur während der Verschnaufpausen beim Zustieg unsere Wand mit den Augen erkunden.
Mangel kann auch Gutes bewirken. Unser G’spür für das, was im Fels machbar ist und was nicht, war damals von dem ständigen Klettern ohne oder nur mit dürftigen Routenbeschreibungen sehr geschärft worden. Ich sah Risse in den sonst glatten Platten unserer Wand ...
»Wo es Risse gibt, kommen wir auch aufi!«
Hansl hatte genauer geschaut. »I seh aber auch Wandstellen ohne Risse. Wie kommen wir dort aufi?«
»Dort müssen wir dann ohne Risse aufi!« – So einfach war das. Vom Klettern im »jungfräulichen Fels« hatte ich damals die romantische Vorstellung, dass sich der Kletterer dabei ganz großartig fühlen muss: Columbus im Steilfels.
Es war aber nicht so. Schon bei der Erstbegehung an der Rax hatte ich während des Kletterns nie daran gedacht, dass ich als erster Mensch an diesem Standplatz stehe oder mich nach einem besonders schönen Scherbenhenkelgriff strecke. Am Schneeklammkopf war es genauso.
Beim Klettern gilt der Augenblick. Und ob man der erste Mensch ist, der den Scherbenhenkelgriff ergreift, oder ob dieser schon tausendmal oder zehntausendmal ergriffen worden ist – das ist dann während des Kletterns bedeutungslos.
In viereinhalb Stunden hatten wir die Wand derpackt, das Mädchen Hilde, der Hausner Hansl und ich. Peter Radacher nachher: »Wenn unsere Bischofshofener das g’wusst hätten, dass die Wand so leicht zu derpacken ist, dann hätten’s sie schon längst gemacht!«
Dass es im Hochköniggebiet noch »massenhaft« Erstbegehungen zu machen gibt, hatte dann nach der Jahrhundertmitte der am Fuß des Berges wohnende Albert Precht bewiesen. Durch seine vielen Neutouren (extreme Frei- wie auch Genussklettereien) ist er bald zum »König vom Hochkönig« geworden.
In seinem »Alpenvereinsführer Hochkönig« hatte er unsere Neutour als »sehr schöne Kletterei in festem Fels« genannt und mit dem Schwierigkeitsgrad V+ bewertet. Für mich freilich ist die Südwestwand vom Kleinen Schneeklammkopf (2540 m) die schönste, nein: die allerschönste Kletterei der ganzen Gruppe! Alle Erstbegeher übertreiben, wenn es um ihre Erstbegehung geht (besonders je älter sie werden).
Bei dieser Gemeinschaftsfahrt unserer Bergsteigergruppe war auch Sepp Brunhuber zum letzten Mal im schweren Fels unterwegs. Er hatte an diese Wochenendfahrt noch den Montag angehängt. Ich auch. Wir wollten die 1946 erstbegangene Südverschneidung der Torsäule machen. Sie hatte erst fünf Begehungen.
Als wir nach acht Uhr früh loszogen, wünschte uns Hüttenwirt Radacher nicht nur alles Gute, sondern auch eine gute Biwaknacht. »Ihr seid spät dran, habt einen langen Zustieg vor euch. Und die besten Bischofshofener Kletterer haben acht bis zehn Stunden für die Verschneidung gebraucht!«
»Biwakieren werden wir ganz bestimmt nicht!«, sagte Brunhuber am Einstieg. »Den Zapfen machen wir heute express!«
Express?
Brunhuber erklärte es mir. Ich sollte als Seilerster eines von unseren zwei Seilen auf den Standplätzen fixieren und er würde dann als Seilzweiter sich an diesem – ruck-zuck – hinaufhanteln. »Da sind wir dann gschwinder als alle Bischofshofener!«
So war es auch – wir hatten nur zweieinhalb Stunden für die Verschneidung gebraucht. Obwohl in ihr nur ein Sicherungshaken steckte, hatte ich keinen einzigen dazugeschlagen. Brunhuber konnte daher in einem Zug die vollen Seillängen hinaufhanteln. Nur solide Standhaken hatte ich in den Fels gedroschen.
Für mich war Brunhubers »Express-Klettern« etwas ganz Neues, irgendwie Abstruses. Während ich oben den Standhaken geschlagen hatte, hatte er unten den Haken schon
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