Ein Stueck vom Himmel
Jagdherren noch einmal in das Kar führen. Wir sollten die »Viecher nicht noch einmal schrecken«.
Herbstliche Stille über den Bergen, zwei schweigsame Seilschaften unterwegs. Wir flüsterten nur das Notwendigste. Es gab keine Jubelschreie über besonders schöne Kletterstellen an der eisenfesten Kante (und solche gab es recht viele).
Auf dem Gipfel wollte Schwanda schon seinen Gipfeljodler ins Land hinausschmettern – doch dann erinnerte er sich, was er dem Jäger versprochen hatte, und flüsterte nur leise: »Klass war’s, Burschen!« Schweigsam wie Trappisten saßen die Burschen dann auf dem Gipfel – bis sie plötzlich ein dumpfes Brüllen erschreckte ...
Das war so, als ob im Inneren unseres Berges hundert und noch mehr Menschen eingeschlossen wären, die auf Kommando einen einzigen Schrei von sich gaben. Nur einen Schrei. Und dann war es wieder still. Aber nur für kurze Zeit. Dann brüllte der Berg wiederum. Er brüllte, sooft der Wind heftiger blies. Der Fall war klar: Der Wind bewirkte dieses akustische Phänomen. So war wahrscheinlich auch der Geisterkogel zu seinem Namen gekommen. Schwanda flüsterte: »Hoffentlich glaubt jetzt der Jäger nicht, dass wir diesen Krawall machen!«
Der Monte Duranno und Longarone
Der Monte Duranno (2688 m, in den Karnischen Alpen) schaut von der Seite fotografiert wie ein wilder Dolomitenturm aus. Ein solches Foto hatte ich gesehen und war von dem Berg hellauf begeistert. Auch Schwanda und Adi Mokrejs waren das, als ich es ihnen zeigte. Nur Schwanda sagte: »I versteh nur net, dass i von dem Zapfen noch nie was ghört hab!«
1969 fuhren wir zum Monte Duranno. Talort für seine Ersteigung ist Longarone im Piavetal. 1963 ist der ganze Ort von einer Sturzflut weggeschwemmt worden, nachdem vom Monte Toc 270 Millionen Kubikmeter Gestein und Erdreich in den oberhalb des Ortes befindlichen Stausee gerutscht waren. Es gab an die 2000 Tote.
Wir wussten um diese Katastrophe, aber nicht sehr viel. Auch in unseren Zeitungen war nicht viel darüber zu lesen gewesen. Erst als wir auf unserer Fahrt zum Monte Duranno an dem (fast unbeschädigten) Staudamm und den Erdbergen im einstigen Stausee vorbeikamen, wurde uns bewusst, was sich da an Unbegreiflichem und Schrecklichem ereignet hatte.
Wir waren in einem Land unterwegs, das noch immer Trauer trug, fuhren an vielen Kreuzen und Gedenktafeln vorbei, vor denen frische Blumen lagen. Ernst und verschlossen waren die Leute. Erst als sie erfuhren, dass wir Bergsteiger und keine »Katastrophenschauer« waren, wurden sie freundlicher und sagten uns auch, wo wir den Schlüssel für die Schutzhütte kriegen. Richtig froh wurden wir erst wieder, als wir die Zone um den Todesstausee hinter uns hatten.
Der Aufstieg zum Rifugio Maniago (1800 m) unter dem Monte Duranno war abenteuerlich. Gleich nach der Wegtafel ein 200 Meter breites Flussbett mit vielen Steinen – und keinem einzigen Markierungssteinmandl. Rein zufällig fanden wir den schmalsten Weg, der aus der Steinwüste wieder hinausführte.
Mitten auf diesem Weg stellte sich uns zischend das Prachtexemplar einer Kreuzotter entgegen. Wir umgingen sie und wären dabei fast auf eine nicht weniger prächtige Sandviper getreten. Es war ein sonderbarer Weg, den wir gingen. Er war sichtlich neu angelegt, aber stellenweise gab es ihn nicht mehr. Er war abgerutscht, verschwunden in der Tiefe. »Wenn der Hüttenzustieg schon so lausig ist, wie lausig wird dann die Hüttn sein!«, raunzte Schwanda.
Es gibt noch Wunder. Rifugio Maniago war keine »Hüttn«, sondern eine funkelnagelneue alpine Prunkvilla. Der Tagraum – ein gutes Werk eines guten Architekten. Im Schlafraum Luxusbetten mit Schaumgummimatratzen. Küche mit Gasherd und blitzblankem Geschirr. Wie Traumwandler gingen wir durch das Haus.
Jetzt sahen wir auch den Monte Duranno in seiner ganzen Größe. In unserem Führer »Der Hochtourist in den Ostalpen« (aus dem Jahre 1903) wurde er ein »kühner, isolierter Felsturm« genannt. Wir sahen nur einen breiten Felsklotz. Mein Traumturm zeigt sich nur im Profil als Felsturm. So sahen wir ihn erst am nächsten Morgen von der Forcella Duranno.
Wir waren spät dran. Zu lange hatten wir in den Luxusbetten geschlafen, zu lange in dem schönen Tagraum gefrühstückt. Und außerdem: Der Südostgrat war schon im Jahre 1902 erstbegangen worden, der Normalweg (für den Abstieg) bereits im Jahre 1874, eine alte Tour, die wir – so glaubten wir – leicht mit einer Hand im Hosensack derpacken
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