Ein Stueck vom Himmel
wieder herausgeschlagen und hantelte sich dann blitzschnell an dem dünnen Hanfseil hoch. Ich konnte schon wieder weiterklettern.
Erst als wir auf dem Gipfel saßen, wurde mir bewusst, dass ich bei dieser Kletterei überhaupt nicht zum Schauen gekommen war. Damals hätte ich mir nie gedacht, dass ein solches »Express-Klettern« bei den Amerikanern als Speed-Klettern einmal wiederauferstehen wird.
Ich bewunderte aber den damals 43-jährigen Brunhuber (für mich schon ein alter Herr), wie er flink und locker (auch wenn’s überhängend war) »express« nachkam. Jetzt glaubte auch ich (so wie alle seine Freunde), dass Brunhuber ein leichtathletisches Phänomen war: einer, der nicht nur mehr Liegestütze und Klimmzüge schaffte als jeder andere und der nach einer ausgiebigen Mahlzeit zur »besseren Verdauung« aus dem Stand über den Esstisch sprang.
Hans Schwanda (grimmig): »Und das hat der Kerl derpackt, ohne auch nur ein bisserl zu trainieren!«
Brunhuber hatte nach dem Krieg ein Sportgeschäft und ein Reisebüro gegründet. Beide Unternehmen ließen ihm nicht mehr Zeit für die Berge. Er wurde zuckerkrank und zuletzt mussten ihm beide Beine amputiert werden.
Sepp Brunhuber (1904–1988) war nicht nur einer der besten Kletterer seiner Zeit, sondern auch ein Pionier des Winterbergsteigens (u. a. 1938 mit Fritz Kasparek erste Winterbegehung der Großen-Zinne-Nordwand). Sein 1951 erschienenes Buch »Wände im Winter« animierte damals viele Bergsteiger dazu, sich ebenfalls bei Winterklettereien – wie es Brunhuber formulierte – »den Arsch einfrieren zu lassen, damit er frisch bleibt«! Brunhuber war einer, der kein Sitzfleisch hatte – einer, der das Unterwegssein genoss. Als Capo unserer Bergsteigergruppe hatte er 1947 nicht nur die Gemeinschaftsfahrt zum Hochkönig, sondern vorher auch mit Hilfe seiner französischen Freunde eine Fahrt zum Montblanc organisiert. Das war in diesen Nachkriegsjahren eine organisatorische Meisterleistung. Doch als er endlich alles (Reisepapiere, Devisen) beisammenhatte, sagte er: »Wenn wir einmal schon in Frankreich sind, könnten wir nach dem Montblanc noch irgendwas anhängen!«
Er hängte nach dem Montblanc noch eine Fahrt in die französischen Pyrenäen an.
Als in unserer Bergsteigergruppe bekannt wurde, dass der quirlige Sepp sein Leben nunmehr ohne Beine im Bett verbringen muss, konnte sich das keiner von uns vorstellen.
Brunhuber sagte: »Jetzt lebe ich nur noch von den Erinnerungen!«
Die größte Kunst beim Bergsteigen ...
... ist, dass man dabei auch alt wird! Das hatte Hans Schwanda immer und immer wieder zu uns Jungen gesagt, wenn wir ein bisserl zu übermütig geworden sind. Er ist 79 Jahre alt geworden. Aber einmal – das war an der Croda Rossa – wären wir bald alle miteinander nicht alt geworden ...
Die blutrote Croda Rossa (3169 m, einst Hohe Gaisl genannt) ist wahrscheinlich der einsamste Dolomiten-Dreitausender. Nur wenige Seilschaften sind es, die innerhalb eines Jahres den Gipfel ersteigen, und was diese Bergsteiger dann nachher erzählen, ist keinesfalls stimulierend für Nachfolger: »Der höchste Schutthaufen der Dolomiten ...« – »Auf diesen Berg geht man nur, wenn man sich das Bergsteigen abgewöhnen will!«
In unserer Zeit, in der immer und überall nur das Positive gilt und hochgejubelt wird, reizt das Negative doppelt. Am Ende eines Dolomitenurlaubes beschlossen wir daher – noch so zum Drüberstreuen – die Croda Rossa zu ersteigen. Leider hatte dann Petrus in der Nacht Neuschnee auf die Berge drübergestreut. Bei leichtem Schneetreiben stiegen wir von der Biwakschachtel wieder ab, ohne den Berg gesehen zu haben.
Im nächsten Jahr war die Croda Rossa für uns schon zu einem Berg geworden, den wir unbedingt ersteigen wollten. Aber sie wollte anscheinend von uns noch nicht erstiegen werden ...
Sie war wiederum kein roter, sondern ein weißer Berg. Beinhart gefroren war schon das steile Schneefeld unter der von Schnee und Eis überzogenen Einstiegsschlucht. Ohne Pickel und Steigeisen konnten wir weder an diesem noch am nächsten Tag den Gipfel erreichen! Als wir uns zum Rückzug entschlossen, hatten wir nicht das Gefühl, vom Berg abgeschlagen worden zu sein. Unsere Ausrüstung hatte eben diesmal nicht den Verhältnissen am Berg entsprochen.
Als wir ein Jahr später wiederum zur Croda-Rossa-Biwakschachtel aufstiegen, hatten wir Steigeisen und Eispickel mit. Diesmal waren Schwanda und Ernst unsere Gefährten.
»Wasser brauchen wir
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