Ein stuermischer Retter
retten, und obwohl diese Frauen nach ihm schlugen und traten, hat er keiner von ihnen ernstlich etwas getan; er hat sie nur abgewehrt und zur Seite geschoben. Klingt das nach einem Mann, der eine alte Dame gemein behandelt, von Ihrer Urgroßmutter ganz zu
schweigen?"
Leichte Zweifel schienen in Estrellitas Augen sichtbar zu werden, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Ich sehe es in meinem Traum", sagte sie tonlos. „Die Alte auf dem Boden, mit Blut auf der Brust. Und Ihren Mann, mit Blut an den Händen. Was sollte es sonst bedeuten? Meine Träume lügen nicht." Unglücklich fügte sie hinzu: „Wenn sie stirbt, bin ich ganz allein auf der Welt. Ich habe dann niemanden mehr."
Faith nagte an ihrer Unterlippe. Es hatte keinen Sinn, Estrellita zu sagen, dass Träume manchmal wirklich nur Träume waren - das Mädchen hätte ihr das nicht abgenommen. Außerdem glaubte Faith selbst an die Macht von Träumen; doch Träume hatten sie oft in die Irre geführt. Unabhängig davon hätte sie aber ihr Leben darauf verwettet, dass Nicholas ein durch und durch guter Mensch war.
Sie nahm das Mädchen in die Arme und drückte es kurz an sich. „Estrellita, mein Mann wird Ihrer Urgroßmutter nichts tun, das versichere ich Ihnen."
Estrellita zuckte schicksalsergeben die Achseln. „Er wird sie töten. Ich weiß es."
„Nein, das wird er nicht", widersprach Faith energisch. „Ich verspreche es Ihnen."
„Hier werden wir für die heutige Nacht unser Lager aufschlagen", verkündete Nicholas, als sie eine Waldlichtung entdeckten, in den Ausläufern von Bergen. Faith sank in sich zusammen, vor Müdigkeit, aber auch vor Enttäuschung. Seit Estrellita bei ihnen war, hatten sie nur noch im Freien übernachtet. Faith wusste nicht genau, ob Nicholas glaubte, kein Gasthaus würde ein Zigeunermädchen aufnehmen, oder ob es ihm einfach so lieber war. Das Wetter war jedoch schön gewesen, und sie musste zugeben, dass sie es genoss, unter dem Sternenhimmel zu schlafen. Es war erstaunlich, wie man sich daran gewöhnen konnte, auf dem Boden zu nächtigen. Mittlerweile war das längst keine Strapaze mehr für sie.
Trotzdem war sie besorgt. Vielleicht bedeutete sein Entschluss, ein Lager aufzuschlagen, dass er sie lieber auf Distanz halten wollte. Denn in Gegenwart der anderen kam es zwischen ihnen nicht zu Intimitäten.
Nicholas streckte die Arme aus, um ihr aus dem Sattel zu helfen. „Es dauert jetzt nicht mehr lange", meinte er. „Mir ist klar, dass dir diese Reise endlos vorkommen muss."
Endlos? Genau das wollte sie ja! Sie wollte für alle Zeit mit ihm zusammen sein.
„Ich denke, in drei Tagen werden wir in Bilbao sein."
„In drei Tagen?", entfuhr es Faith. Nicht schon so bald! Sie warf einen Blick auf den Mann neben ihr. Sie wusste, er, der so unnachgiebig war, würde sie dazu zwingen abzureisen, sobald sie in Bilbao waren.
Ihr blieben nur noch drei Tage, ihn dazu zu bringen, dass er sie ebenfalls liebte!
Sie wich seinen Händen aus, fasste die Zügel fester und ließ ihr Pferd einen Schritt zurückgehen. „Ich will hier nicht übernachten", verkündete sie. „Ich bin müde und habe Rückenschmerzen. Ich will ein heißes Bad und ein richtiges Bett." Sie sah ihn nicht an, damit er ihr nicht anmerkte, was sie vorhatte.
Er machte ein finsteres Gesicht. „Ich habe dich vor den Strapazen gewarnt!"
„Richtig", antwortete sie. „Und ich habe sie bis jetzt auch ohne zu klagen ertragen. Doch jetzt möchte ich ein Bad und ein Bett." Sie lächelte ihn freundlich an. „Du kannst gern auf dieser Lichtung bleiben. Ich habe noch das Geld, das du mir in Calais gegeben hast. Ich bin sicher, das reicht für ein Zimmer in der nächsten Ortschaft."
Ehe er etwas erwidern konnte, wendete sie ihr Pferd und ritt in leichtem Galopp weiter die Straße entlang.
Nur wenig später hörte sie ihn hinter sich, genau wie sie erwartet hatte. Sie legte bewusst keine langsamere Gangart ein, sodass er gezwungen war, sich etwas anzustrengen, um sie einzuholen.
„Was soll das, zum Teufel?", rief er ihr zu.
„Ich suche mir ein Zimmer in einem Gasthaus", sagte sie fröhlich. „Hast du mich vorhin nicht vernommen?" Es war zu schade, dass ihr Pferd erschöpft war. Nur zu gern hätte sie mit Nicholas ein Wettrennen veranstaltet, doch selbst in diesem leichten Kanter würde das arme Tier nicht lange durchhalten.
„Du hast einen Soldaten geheiratet, und als meine Frau ... "
„Aber du bist doch gar kein Soldat mehr, oder? Der Krieg ist längst vorbei!"
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