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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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eine Zeichnung vornahm.
    Noch während er sich fragte, wie es ihr (nicht, daß er sie wirklich als Frau identifizieren konnte, schon gar nicht als Moira Balcon) überhaupt möglich war, in der Dunkelheit des Raums die Abbildung zweier Schlafender vorzunehmen, bemerkte er, wie die Müdigkeit ihn zurückriß. Cheng kämpfte dagegen an. Ein kabinettartiger Teil seines Bewußtseins befand sich nun im Zustand großer Klarheit und verfolgte voller Schrecken das eigene Wiedereintauchen in den Schlaf. In diesem Kabinett eingeschlossen, begriff Cheng nur allzu gut, was sein Versagen bedeutete. Moira Balcon würde – wie schlecht die Lichtbedingungen auch immer sein mochten – ihr Doppelporträt beenden und dann mit ihm und Dr. Thiel in ähnlicher Weise verfahren wie mit den beiden Polizeibeamten in Zweiffelsknot. Er mußte also schleunigst erwachen. Statt dessen sank er immer tiefer hinein in den Schlaf, den jemand einmal als eine Aneinanderreihung von Zimmern ohne Wände bezeichnet hatte. Damit in Einklang brachen nun auch die Mauern ein, die das kleine Kabinett großer Klarheit umgeben hatten.
    »Ein Traum. Ein böser Traum«, dachte Cheng, als er am nächsten Morgen in dem breiten, hohen Bett erwachte und seinen Kopf dort hatte, wo er hingehörte. Es war das Knarren der sich öffnenden Tür gewesen, das ihn geweckt hatte. Dr. Thiel war eben aus dem Bad zurückgekehrt. Sein Oberkörper wies ihn als einen Menschen mit beinahe haarloser, flacher Brust aus. Ein dünner, nackter Mensch, der angezogen um einiges kompakter und stabiler wirkte. Aber wer tat das nicht?
    Als auch Cheng aus dem Bett stieg, Dr. Thiels knappen Gruß erwiderte und dann ans Fenster trat, um den zugeschneiten Garten zu betrachten, kam ihm zu Bewußtsein, daß er am Abend zuvor einen Menschen umgebracht hatte. Tatsächlich wurde ihm erst jetzt dieser Umstand deutlich bewußt: Er hatte getötet. Aus Notwehr, selbstverständlich. Aber davon abgesehen, stellte er fest, wie erschreckend wenig ihn das Geschehene rührte. Er konnte sich kaum an das Gesicht dieser Frau erinnern. Es war wie im Krieg gewesen, wo die Leute sich umbringen, ohne einander vorgestellt zu werden. In Ermangelung eines solchen Sich-Bekanntmachens bleibt die Tötung unwirklich, als sei sie bloß Teil einer Aufführung.
    Cheng trat zurück vom Fenster und ging ins Badezimmer. Unter der Dusche betrachtete er den Stumpf, der seinen linken Oberarm abrundete. Hin und wieder bereitete ihm dieser Anblick Übelkeit. Er fühlte sich dann an ein zugebundenes Stück Wurst erinnert, meinte zu erkennen, wie das Fleisch, sozusagen der Rest vom Fleisch, sich hinter der vermeintlich dünnen Haut abzeichnete. Heute aber beruhigte ihn die Gestalt seiner Verstümmelung. Ihm war, als betrachte er eine zu Ende gebrachte gelungene Arbeit. Den besten Teil an ihm.
    Eine halbe Stunde später trafen die drei Männer sich in der Küche. Die Espressomaschine war in Betrieb, in etwa wie ein glitzernder Spielautomat rumort und aus seinem Schlitz heraus einen Gewinn entläßt. Der Geruch von Kaffee breitete sich aus und versöhnte die Anwesenden für einen Augenblick mit sich und ihrem Schicksal. Durch das horizontal gestreckte, aber nur schießschartenschmale Fenster erkannte man nichts anderes als Schnee.
    Lauscher stand vor einer mit Katzenfutter gefüllten Schale und schien auch in fremder Umgebung desinteressiert und leidenschaftslos. Er hatte zwischenzeitlich realisiert, sich mit einem Tier in diesem Gebäude zu befinden. Ja, Lauscher unterschied natürlich zwischen Tieren und Menschen, ohne sich jedoch darüber im klaren zu sein, daß auch er zu den Tieren zählte. Er selbst empfand sich schlichtweg als Lauscher.
    Seine Ähnlichkeit zu Geschöpfen, die sich ebenfalls auf allen vieren bewegten, blieb ihm verborgen. Auch Kleinkinder krabbelten schließlich über den Boden, ohne daß Lauscher auf die Idee gekommen wäre, sich für ein Kleinkind zu halten. Oder eben für eine Katze. Wobei ihm Katzen suspekt waren, prinzipiell. Wahrscheinlich war es ihre Eleganz, die ihn verunsicherte, eine Eleganz, die er übrigens auch bei seinem Herrchen Cheng festgestellt hatte, zumindest dann, wenn dieser seinen perfekt sitzenden Anzug trug. Die Eleganz eines einarmigen Österreichers empfand Lauscher nicht als Bedrohung, die einer Katze sehr wohl. Er selbst, Lauscher, war plump. Das wußte er (oder begriff es eben, wie man begreift, daß man nicht fliegen kann oder der Alkohol zu wirken beginnt), weshalb er bemüht war, sich

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