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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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warum es ihm widerstrebte, mit Stäbchen zu essen, obwohl diese Technik einem Einarmigen besonders entgegenkam. Er hatte es nun mal nie erlernt und selbst nach dem Verlust seines Arms kein Interesse dafür entwickelt.
    Er empfand das Bedürfnis weltoffener Westmenschen, ihre Stäbchenkünste zu demonstrieren, als eine kindische, geschmacklose Clownerie. Dazu kam, daß ihm die asiatische Küche wenig zusagte. Obwohl er sie nicht eigentlich kannte. Er war mit Schnitzel und Gulasch, mit Blunzengröstel, Frittatensuppe und Mohr im Hemd aufgewachsen, blendend aufgewachsen, und sah keinen Grund, daran etwas ändern zu wollen. Denn auch die schwäbische Küche entsprach durchaus der Konditionierung seines Gaumens. Eine Frittatensuppe hieß in Stuttgart eben Flädlesuppe. Das war es auch schon. Alles Asiatische, dem er begegnete, erschien ihm hingegen als ein Betrug. Auch diese Kneipe hier, die sich so original gebärdete und dessen Betreiber, der hinter der Theke stand, aussah, als habe er sich noch vor fünf Minuten auf einem Shanghaier Viktualienmarkt herumgetrieben.
    »Was für eine Komödie!? Was für eine chinesische Komödie!?« dachte Cheng.
    Interessanterweise liebte Dr. Thiel dieses Lokal, liebte die asiatische Küche. Es war kein Widerspruch, daß er Cheng nicht mochte. Was ihn an Cheng störte, war die Verleugnung des Asiatischen, die »Verösterreicherung« dieses Menschen.
    Für ein Essen war es noch zu früh, obgleich ein animierender Geruch aus der Küche drang. Mortensen und Dr. Thiel bestellten grünen Tee. Dazu empfahl Dr. Thiel einen Schnaps, der einen Namen trug, den man in etwa mit »Gedanken eines müden blauen Falters« übersetzen konnte.
    Entgegen der Farbangabe war der Schnaps hell und klar. Cheng weigerte sich, auch nur zu kosten, und bestellte statt dessen ein alkoholfreies Bier. Vielleicht, weil er erwartet hatte, daß es etwas derartiges in Cravans Blume nicht gab. Gab es aber.
    »Warum eigentlich Cravans Blume ?« fragte Mortensen. »Der Name leuchtet mir nicht ein.«
    Er hatte die Frage ganz allgemein gestellt und niemanden dabei angesehen. Der Mann hinter dem Tresen blickte fortgesetzt in seine Illustrierte. Es war Dr. Thiel, der antwortete: »Das Lokal existiert seit den Zehnerjahren des letzten Jahrhunderts, ich meine des zwanzigsten. Schon damals hat es diesen Namen getragen. Es war natürlich zunächst keine chinesische Kneipe, sondern ein Debattierclub für Boxfreunde.«
    Mortensen warf ein, daß in einen solch kleinen Raum wohl kaum ein Boxring gepaßt habe.
    »In der Tat«, sagte Dr. Thiel. »Soweit ich darüber gelesen habe, hing von der Mitte der Decke ein Sandsack. Nicht mehr. Die Gäste saßen um das Ding herum, tranken Limonade, diskutierten, und wenn es einem zu bunt wurde, der Limonade oder der Diskussion wegen, trat man vor den Sack und schlug so lange hinein, wie eben nötig. Die Legende besagt, daß in der Limonade Halluzinogene aufgelöst waren. Gut möglich. Alles am Besitzer dieses Debattierclubs scheint legendenhaft. Der Mann hieß Arthur Cravan, war Holzfäller, Boxer und wohl einiges mehr. Und er war Dadaist. Wobei ich nicht genau sagen kann, was man sich unter einem Dadaisten eigentlich vorzustellen hat. Einen Menschen, der subversive Limonade braut? Auf jeden Fall ist Herr Cravan rasch wieder aus Stuttgart entflohen. Ohne so richtig dagewesen zu sein. Scheint es. Sein Aufenthalt in dieser Stadt ist unbelegbar. Keine Hoteleintragung, kein Hinweis im Meldeverzeichnis, bloß der Verdacht, das Gerücht, die Legende. Er taucht auf und verschwindet. Vielleicht ist das Dadaismus: aufzutauchen und gleich wieder zu verschwinden. Dazu paßt, daß Arthur Cravan von einer Bootsfahrt an der mexikanischen Küste nicht mehr zurückkam. Also auch als Leiche nicht.«
    »Warum aber Blume ?« beharrte Mortensen auf seiner Frage.
    »Da kann ich nur spekulieren«, sagte Dr. Thiel. »Wahrscheinlich war damit der Sandsack gemeint. Vielleicht aber auch das Zeug, das Cravan in die Limonade gemischt hat. Ich weiß es wirklich nicht. Dieses Lokal hat im Laufe der Jahrzehnte viele Besitzer gesehen, aber ein jeder hat den Namen beibehalten.«
    »Der Name ist eine Macht«, sagte der Mann hinter der Theke. Es klang schrecklich weise. Auch, weil er so alt aussah. Ein Umstand, welcher Cheng anwiderte. Er benötigte dringend eine Pause. Er verspürte ein großes Bedürfnis nach der Ruhe einer Kirche. Einer katholischen selbstverständlich. Praktischerweise fiel ihm ein, daß sich eine solche

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