Ein Sturer Hund
bedeutet hatte.
Die Höhe des Turms, der im Februar 1956 fertiggestellt worden war, wurde einmal mit zweihundertelf, dann wieder mit zweihundertsiebzehn Metern angegeben, gerade so, als atme dieser Turm ein und aus. Was eine nette Vorstellung war: ein atmender Turm, kein Brust-, sondern selbstverständlich ein hochkonzentrierter Bauchatmer. Die Anmut dieser Architektur ergab sich primär dadurch, daß die Betonhohlröhre (und man spürte auch von außen das Hohle der Röhre) bis zum Ansatz des Turmkorbes einen bogenförmigen Verlauf nahm. Wobei man diesen Bogen als die Krümmung einer Geraden begreifen mußte. Vergleichbar der Ablenkung von Licht. Oder der Ablenkung vom Alltag.
Zu Beginn schwoll der Turm unmerklich an, um sich sodann zusehends zu verjüngen. Ein Umstand, der die Annahme, es handle sich bei diesem Turm um ein atmendes Gebäude, auch optisch unterstützte. Doch daß man hier eigentlich einer griechischen Säule ansichtig wurde, war zwar in diversen Architekturführern vermerkt, blieb aber im allgemeinen unbeachtet.
Die Leute erkannten einen hochgestreckten Finger, ein nadel- oder nagelartiges Mahnmal des Fernsehens, und übersahen die antike Gestalt. Vielleicht auch des Turmkorbes wegen, der nach hundertsechsunddreißig Metern aus dem Schaft herauswuchs und einen kapseligen Körper bildete, dessen Außenhaut im Licht des Tages und erst recht im Schein der Sonne einen silbrigen Glanz besaß und nicht umsonst einer Raumsonde ähnlich sah. Dieser Korb war nichts anderes als der feststehende Trabant des Planeten Stuttgart. Ein Trabant aus vier Etagen, in denen eine Sendestation, eine Küche, ein Restaurant und zuoberst das sogenannte Panoramacafé untergebracht waren. Darüber, praktisch auf dem runden Flachdach des Trabanten, befand sich eine von hohen Gitterstäben umspannte Aussichtsplattform, auf die eine zweite, kleinere folgte. Hier war nun wieder der Betonschaft sichtbar, der nach einigen Metern in die abwechselnd rot und weiß bemalte Stahlkonstruktion des Sendemastes überging.
Nachdem Dr. Thiel den Wagen auf der weiten Parkfläche abgestellt hatte, stieg man aus und blieb eine Weile stehen, so wie man ja auch beim Betreten einer Kirche diese nicht sofort in einem Lauf durchquert, sondern zunächst verharrt, um das Ganze auf sich wirken zu lassen und der Andacht zu ihrem Recht zu verhelfen. Es waren also Andacht und Respekt, welche die Männer in Regungslosigkeit versetzten. Und es war allein die Kälte, die sie wieder zur Bewegung zwang.
Beim Näherkommen bemerkte Cheng, daß der Beton, der aus der Ferne natürlich vollkommen plan gewirkt hatte, aus der Nähe besehen eine Oberfläche besaß, die einen handgeformten, einen gekneteten Eindruck hinterließ. Womit keine Unregelmäßigkeit oder gar Unförmigkeit gemeint war, sondern bloß die Lebendigkeit einer Außenhaut, die von Tausenden von Händen geglättet schien. Cheng schmunzelte bei der Vorstellung, die braven, fleißigen Stuttgarter hätten diesen Turm auf eine höchstpersönliche Weise errichtet. Wie in einem dieser unseligen Töpferkurse.
Als die drei Männer nun den Teil des Turms betraten, der zu den Aufzügen führte, bemerkten sie ein Schild, welches darauf verwies, daß zwar die beiden Plattformen wie gewohnt der Öffentlichkeit zur Verfügung stünden, das Panoramacafé jedoch wegen Fernsehaufnahmen an diesem Tag geschlossen sei.
»Es ist zu früh, um hinaufzufahren«, entschied Dr. Thiel, weshalb man sich an die Bar eines an den Eingangsbereich angeschlossenen Restaurants stellte. Einige der Tische waren mit Menschen besetzt, die unverkennbar zum Fernsehen gehörten. Auch wenn es sich bloß um Leute handeln mochte, deren Aufgaben darin bestanden, Kabel durch die Gegend zu schleppen, die Gesichter der Stars aufzupolieren oder für diese Stars Kalauer und Bonmots zu verfassen, so spürte man dennoch die Bedeutung, von der die Anwesenden meinten, daß sie von ihnen ausging. Die Bedeutung flimmerte in ihren Gesichtern. Flimmerte in jedem gesprochenen Wort.
Durch die gläserne Tür hatte Dr. Thiel einen guten Blick auf das Foyer, in das nun regelmäßig Personen traten, bei denen es sich um weitere Fernsehleute zu handeln schien. Endlich bemerkte er Nela Flemming. Obwohl sie von draußen kam, war sie leicht bekleidet und wirkte zwischen ihren mit Mänteln und Jacken ausgerüsteten Begleitern ausgesprochen mediterran. Sie trug eines von diesen grellen, luftigen Kleidern, für die sie von der Presse phasenweise gescholten
Weitere Kostenlose Bücher