Ein Sturer Hund
wurde. Wie auch dafür, daß sie zusehends fülliger wurde, weshalb irgendein Kretin von der Frankfurter Allgemeinen sie als die Liz Taylor des deutschen Fernsehens bezeichnet hatte. Nichtsdestotrotz konnte sie hohe Einschaltquoten vorweisen. Sie verfügte über eine beredte Körpersprache, ein virtuoses Mundwerk, über einen Hauch von Vulgarität und einen Hauch von Vornehmheit. Man hätte sie für die berühmte Autorin experimentell-schlüpfriger Romane halten können und für jemand, der immer ein klein wenig angetrunken war. Tatsächlich jedoch schrieb sie weder Romane, noch nahm sie je Alkohol zu sich. Ihr hin und wieder schrilles Gelächter war genauso natürlich wie ihr prächtiges rotes Haar, das sie turbanartig hochgesteckt hatte.
Es war gar keine Frage, daß all die prominenten Gäste sich glücklich schätzten, wenn sie zu Flemmings Nase eingeladen wurden. Niemand wäre auf die Idee gekommen, abzusagen oder sich Ausreden einfallen zu lassen. Das wäre gewesen, als wollte man sich mit einer Hohepriesterin anlegen. Oder in selbstmörderischer Weise ein Orakel gegen sich aufbringen. Übrigens war Nela Flemming schwerreich, da sie als junge Frau und angestellte Chemikerin ein besonders leitfähiges Material für die Produktion von Bauelementen und Leiterzügen in der Mikroelektronik entwickelt hatte. Und dann auch noch so klug und frech gewesen war, sich nicht über den Tisch ziehen zu lassen und statt einer Abfindung eine Gewinnbeteiligung herauszuschlagen. Wobei ihr Sir Alec Guinness als Vorbild gedient hatte. Der Engländer hatte in einem amerikanischen Film eine bedeutsame Nebenrolle verkörpert, dabei jedoch auf seine Gage verzichtet und sich stattdessen einen Anteil am Einspielergebnis gesichert. Seither sagte Nela Flemming ein jedes Mal, wenn man sie fragte, wem oder was sie ihren Reichtum verdanke: »Star Wars«.
Dieser Reichtum war vielleicht überhaupt ihr entscheidender Bonus. Die geladenen Gäste wie auch das Publikum empfanden Flemmings Vermögen – um so mehr, da es ein selbstverdientes war – als ein Zeichen ihrer Souveränität. Wenn Flemming zu moderieren begann, so erschien es einem jeden, als gehörte ihr diese Sendung. Ja, als besitze sie für diesen Zeitraum den gesamten Kanal und alles, was damit zusammenhing. Als seien sogar die Orte, an denen ihre Shows abliefen, ihr Eigentum. Orte, bei denen es sich ja ausschließlich um Türme handelte, historische wie moderne. Sie war die Frau der Türme. Und tatsächlich kam auch Dr. Thiel der Gedanke, als er Nela Flemming und ihren Troß in Richtung auf die beiden Aufzüge vorbeimarschieren sah, daß die Dame soeben dabei war, einer ihrer Immobilien einen Besuch abzustatten. Vor Dr. Thiels innerem Auge breitete sich die Überschrift eines Zeitungsartikels aus:
Deutschlands berühmteste Nase in Stuttgart.
Nela Flemming besucht den von ihr kürzlich erworbenen Stuttgarter Fernsehturm und zeigt sich erfreut über den hervorragenden Zustand des Gebäudes.
(Eine Sache, die bei all dem unberücksichtigt blieb, weil sie so gut wie unbekannt war, ergab sich aus dem Umstand, daß Nela Flemming unter einer merkwürdigen und seltenen Neurose litt, die sich, quasi umgekehrt zur Höhenangst, darin manifestierte, daß ihr das Leben auf der ebenen Erde nur schwer erträglich war. Nicht, daß dies jemand aufgefallen wäre. Allerdings schluckte Nela Flemming eine Menge Medikamente, um die Schwindelgefühle in den Griff zu bekommen, die sie befielen, solange sie in den tieferen Regionen weilte. Wirklich wohl fühlte sie sich eigentlich nur in Flugzeugen, in den Bergen, in den oberen Stockwerken von Hochhäusern, beim Überqueren von Brücken und natürlich auf den Türmen und Monumenten dieser Welt. Im Falle ihrer eigenen beiden Häuser handelte es sich um turmartige Gebäude, die sie trotz einiger bürokratischer Schwierigkeiten auf Bergen errichten hatte lassen. Ihr Haus in der Schweiz galt als das höchstgelegene einer Privatperson. Und jenes nahe der griechischen Inselstadt Karistos war in Gestalt einer Sternwarte auf einen Gipfel gesetzt worden. Wobei die Griechen in Hinsicht auf das Bürokratische sich weit unverkrampfter gegeben hatten als die Schweizer, die nie so recht wissen, ob sie ihre Berge schützen oder zu Geld machen sollen.
Jedenfalls war Nela Flemming immer erst dann wirklich in der Lage durchzuatmen, wenn sie sich in luftige Höhen begab. Ihr Leben bestand im Grunde darin, sich so rasch als möglich von einer künstlichen oder
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