Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
natürlichen Erhebung zur nächsten zu bewegen. Der Wechsel freilich war nötig. Das Umtriebige gehörte dazu, die Freude auf den nächsten Turm. Zudem fühlte sie sich dem Fernsehen verpflichtet und hatte auch nie vorgehabt, sich angstvoll an einen Ort zurückzuziehen und zu versauern. Dann schon lieber Tabletten.)
    Dr. Thiel versuchte, im Umkreis von Nela Flemming seinen Vorgesetzten Rosenblüt auszumachen. Doch der Hauptkommissar war nicht zu sehen. Flemming und der sie umgebende dunkle Schwarm strebten rasch der Liftanlage zu (in einen Aufzug wie diesen zu steigen, der sie in vierundvierzig Sekunden auf eine Höhe von hundertfünfzig Metern befördern würde, war für Nela Flemming ein Akt der Erleichterung und Vorfreude).
    Thiel sank zurück auf den Hocker und nippte ein wenig an seinem Grappa, welcher allerdings in keiner Weise an jenes Destillat eines müden und nachdenklichen blauen Falters heranreichte, das in Cravans Blume serviert worden war. Es muß übrigens gesagt werden, daß auch im Falle von Dr. Thiel es nicht seiner Gewohnheit entsprach, vor dem Abendessen Alkohol zu sich zu nehmen. Aber da nun einmal nichts wie üblich war, sah er keinen Grund, den Genuß von ein wenig Schnaps am helllichten Tage, der so hell nicht war, mit Sorge zu betrachten. Was ihm Sorgen bereitete, war die Frage, ob er überhaupt noch ein Abendessen würde erleben dürfen. Dr. Thiel war am Tiefpunkt angelangt. Er fühlte sich wie ein Schüler, der vor einer Prüfung stand, auf die er sich nicht vorbereitet hatte. Auf die er sich nie und nimmer hatte vorbereiten können. Ein letztes Mal zog er sein Handy aus der Tasche und versuchte, Rosenblüt zu erreichen. Umsonst.
    »Es wird Zeit«, sagte Dr. Thiel, nachdem er immer wieder auf den Ausgang gestarrt hatte, ohne daß Rosenblüt eingetreten wäre. Entweder verspätete sich der Hauptkommissar, oder – und dies schien wahrscheinlicher – er befand sich bereits auf einer der Etagen des Turmkorbes.
    »Was haben Sie eigentlich vor?« fragte Cheng den Polizisten.
    »Vielleicht, Cheng, haben Sie ja recht, und Rosenblüt hat sich tatsächlich entschlossen, auszupacken, und zwar vor laufenden Kameras. Dann brauchen wir eigentlich nur noch aufpassen, daß niemand auf die Idee kommt, ein Kabel zu kappen, bevor Rosenblüt seinen kleinen Vortrag beendet hat.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann werden wir ihn freundlich darum bitten, diesen Vortrag doch zu halten.«
    »Was verstehen Sie unter freundlich?«
    »Das weiß ich noch nicht«, erklärte Dr. Thiel und ließ sich die Rechnung geben.
    Weder Mortensen noch Cheng kamen auf die Idee, sich dafür zu bedanken, daß der Polizist bezahlte. Auch übernahm er es, in der Vorhalle am Automaten drei Tickets zu lösen. Als sie wenig später in eine der Aufzugkabinen traten, fragte sich ein jeder, wie schrecklich es gewesen wäre, hätte sich tatsächlich eine maximale Menschenmenge von sechzehn Personen darin versammelt. Glücklicherweise waren nur sie selbst und der Liftwart anwesend, was ihnen aber bereits das Gefühl gab, sich in einer gut gefüllten, engen Zelle aufzuhalten.
    »Sechzehn Leute?« fragte Mortensen. »Wie müssen die aussehen, um hier hereinzupassen?«
    Statt eine Antwort zu geben, wies der Liftführer die drei Männer darauf hin, daß das Café wie auch das Restaurant einer Fernsehübertragung wegen geschlossen seien und auf der Plattform ein eisiger Wind blase.
    »Wir haben bezahlt«, sagte Cheng und hielt sein Ticket dem Mann entgegen.
    Dieser reagierte mit einem mitleidigen Gesicht, wandte sich dann zur Schalttafel um und ließ den Fahrstuhl schließen und hochfahren. Aus einer Gewohnheit heraus erklärte er mit ermatteter Stimme, daß der Aufzug mit einer Fahrtgeschwindigkeit von vier Metern pro Sekunde nach oben gleite und man also in etwa vierundvierzig Sekunden die Plattform erreicht haben würde. Vierundvierzig Sekunden.
    Cheng fragte sich, was alles auf dieser Welt in vierundvierzig Sekunden zu bewerkstelligen war. Wie viele Gedanken etwa in dieser Zeit gedacht werden konnten. Und wie viele Tassen Espresso man imstande war, hinunterzustürzen. Oder wie viele Schulter an Schulter aufgereihte Menschen einer vierundvierzig Sekunden dauernden Maschinengewehrsalve zum Opfer fallen würden. Auch fragte er sich, ob dies nicht in etwa der Zeitraum war, in dem er selbst seinen Kopf unter Wasser zu halten vermochte. Und keine Sekunde länger. Und welche Strecke das Licht zurücklegte. Und wieviel an Expansion unser Universum

Weitere Kostenlose Bücher