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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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des Sendemastes die Stadt Stuttgart und also an dieser Stelle die Welt endete. Und daß genau darüber der Kosmos begann.
    So zumindest empfand es Cheng in diesem Moment. Da war dieses rot-weiß gestreifte Stück Stahl. Und keinen Millimeter darüber eröffnete sich jener unendliche Raum, der einem jeden Menschen Sehnsucht und Kopfweh bereitete. Und obwohl nicht gerade schwindelfrei, wäre Cheng gerne diese letzten Meter, über die hier die Welt verfügte, hinaufgeklettert und …
    Cheng spürte einen Arm auf seiner Schulter. Es war Dr. Thiel, der mit einer Körperdrehung abwärts wies. Zu dritt gingen sie wieder auf die erste Ebene und gelangten auf der Südseite in das Innere einer Umschalung, von der eine Treppe hinunter ins Panoramacafé führte. Mit einem Schlag umgab Wärme die Männer. Cheng ließ sich noch am Anfang der Treppe von Mortensen aus seinem Mantel helfen, da er ihn wegen der Schwere und Steifheit als zusätzliche Behinderung empfand. Am Ende dieser Treppe stand ein wuchtiges Exemplar von Mensch, dessen Aufgabe es war, unautorisierte Personen am Durchgang zu hindern. Dr. Thiel zückte seine Dienstmarke und hielt sie dem Mann vors Gesicht, wie man etwa einem gefährlichen Tier eine Süßigkeit entgegenstreckt.
    »Ich bin Assistent von Hauptkommissar Rosenblüt.«
    Der Securitymensch sah an Thiels Schulter vorbei auf Cheng und Mortensen, welche hintereinander auf der schmalen Treppe standen und jetzt aussahen, als würden sie in einer extrem verkleinerten und in bezug auf die Kostüme verarmten Version von »Ein Amerikaner in Paris« auftreten. (Das ist der Film mit dieser herrlich breiten Treppe, die einen Oscar erhielt, die Treppe.)
    »Kollegen aus dem Ausland«, erklärte Dr. Thiel.
    »Davon weiß ich nichts«, sagte der Mann.
    »Dafür kann ich nichts, daß Sie davon nichts wissen. Was wollen Sie eigentlich? Daß ich Sie festnehmen lasse? Na gut, Sie mögen fürs deutsche Fernsehen arbeiten, ich aber arbeite für die deutsche Polizei. Das macht Sie zwar in den Augen der Majorität zum liebenswerteren Menschen, erhöht aber nicht Ihre Befugnisse.«
    »Schon klar«, registrierte der Mann, trat zur Seite, wies nach Osten und erklärte, man würde Hauptkommissar Rosenblüt in einem Nebenraum am Ende des Schlauchs finden. Zwecks Maske.
    »Eine Maske kann nicht schaden«, witzelte Dr. Thiel, der wieder zu seiner alten Form und Arroganz zurückgefunden hatte. Er vermittelte einen frischen Eindruck. Zurück im Leben.
    Das Gedränge war beträchtlich. Viele liefen auf dem engen Gang hin und her. Umbauten wurden vorgenommen. Kameras in Position gebracht. Die Beleuchtung eingerichtet und die Akustik getestet. Vor allem aber sagte einer dem anderen, was er zu tun habe und wie. Keine Frage, daß alles auch funktioniert hätte, wäre es etwas weniger hektisch zugegangen. Aber das Hektische, das sich vor allem aus einem ungehemmten Delegieren heraus, ergab, schuf erst die Atmosphäre, die man für nötig hielt, um im einzig richtigen Moment in den Zustand größtmöglicher Konzentration überzugehen, dann, wenn die Sendung begann. Diese Leute hier hielten sich für Künstler, ganz gleich, wofür und für wen sie arbeiteten. Die Kunst passierte sozusagen vor der Übertragung, kulminierte in der Hektik, kulminierte im virtuosen Delegieren, in den gegenseitigen Vorwürfen, Belehrungen, Anweisungen, in der allgemeinen Besserwisserei und in jedermanns Erregtheit.
    Nachdem die drei Männer sich durch eine Hälfte des Kreisganges hindurchgekämpft hatten, gelangten sie vor einen Bereich, der durch einen Vorhang abgetrennt war. Dr. Thiel schob das Stück Stoff zur Seite und trat ein. In dem kleinen, verdunkelten Raum waren zwei Spiegel aufgestellt. Vor dem einen, der weiter hinten stand, saß Rosenblüt, vor dem anderen Nela Flemming, die sich soeben ihre berühmte Nase eigenhändig puderte. Rosenblüt hingegen wurde von einer Visagistin bedient, der es gelungen war, die Paul-Newman-Parallele seines Antlitzes noch stärker herauszuarbeiten. Rosenblüt bemerkte die Eingetretenen, drehte sich aber nicht um. Einen Moment schien es, als wolle er sprechen. Dann aber schloß er den bereits halb geöffneten Mund, verkrampfte sich. Es war Frau Flemming, die sich kurz umwandte und fragte, was der Überfall solle. Dr. Thiel zeigte seine Dienstmarke, entschuldigte sich für die Störung und erklärte, er müsse den Hauptkommissar in einer dringenden Angelegenheit sprechen.
    »Hat das nicht Zeit bis nachher?« wollte Frau

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