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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Zimmer zu schauen, bemerkte er, wie ein runder, ballartiger Körper aus dem Schlafzimmer in den Hauptraum flog und im Aquarium landete.
    Wasser spritzte auf, Fische schossen davon, Wasserpflanzen gerieten in Unordnung. Rasch vermengte sich rote Farbe mit dem Wasser, bildete Schleier. Zwischen diesen Schleiern tanzte der geworfene Körper und sank schließlich gleich einem lecken Schiff auf den Kiesboden.
    Es war Mortensen nicht sofort klar, was er da eigentlich betrachtete. Der Anblick hatte ihn zunächst an eine unter Wasser ferngezündete Rauchbombe erinnert. Als wollte jemand ein optisches Signal aussenden. Ein Signal im Aquarium? Langsam begriff Mortensen das Unglaubliche, daß nämlich nicht Farbe, sondern Blut das Wasser färbte. Und daß hier nicht ein Lederball, sondern ein menschlicher Kopf im leichten Strom der Wasserpumpe wogte. Ein Kopf, der kurz zuvor abgetrennt worden war.
    Auch wenn Mortensen auf die Entfernung und im roten Nebel keine Details des Gesichts ausmachen konnte, so war dennoch klar, um welche der beiden in Frage kommenden Personen es sich handelte. Dieser Kopf mußte zu Thomas Marlock gehören. Denn wäre es jener der Frau gewesen, hätte man das lange, blonde Haar erkennen müssen. Und wie um einen letzten Zweifel auszuschließen, erschien nun die Dame in ihrer ganzen Vollständigkeit im Licht des Hauptraums, blieb eine Weile vor dem Aquarium stehen, wandte sich dann plötzlich um, so als habe sie ein Geräusch vernommen, und trat schließlich an die Fensterreihe heran.
    Sofort drückte Mortensen seinen Körper gegen die Wand, so daß jetzt nur noch die linke Hälfte seines Kopfes hinter dem Rahmen hervorstand. Eines Kopfes, den er gerne behalten wollte. Einäugig beobachtete er die Frau, wie sie herübersah. Allerdings hielt er es für unmöglich, von ihr entdeckt worden zu sein. Ihr Blick galt wohl dem gesamten Haus. Sehr wahrscheinlich vergewisserte sie sich, daß nirgends mehr ein Licht brannte. Und tatsächlich wirkte sie in keiner Weise nervös. Was eine Kunst war, wenn man bedachte, daß ihr weißer Pullover nun an die Berufskleidung eines Metzgermeisters erinnerte. Weder zog sie einen Vorhang vor, noch ließ sie eine Jalousie herunter, sondern drehte sich wieder zum Aquarium hin, griff sich einen kleinen Gegenstand von der Glaskante und vollzog eine Handbewegung, die nur bedeuten konnte, daß sie Fischfutter über die Wasserfläche verteilte. Dann ging sie aus dem Zimmer.
    Mortensen wartete. Dabei erlaubte er sich eine bloß minimale Bewegung seines Kopfes, um einen besseren Blick auf das Treppenhaus zu erhalten, dessen Ganglicht wenig später ansprang. Die Frau trat aus der Wohnung, mit ihrem beigefarbenen Mantel, den sie hochgeschlossen trug. Ihr Haar steckte jetzt ganz in einem Regenhut von derselben Farbe. Sie sah nicht anders aus als eine Frau, die sich vor der Kälte und der Feuchtigkeit dieser Nacht schützte.
    Als sie aus dem Haus trat, mußte sich Mortensen noch ein wenig nach vorn beugen, um ihren Bewegungen folgen zu können. Sie schloß die Tür hinter sich, ohne sie jedoch zu versperren. Dann hob sie kurz den Kopf an. Mortensen erschrak. Aber sie hatte sich bloß davon überzeugt, daß es erneut zu regnen begonnen hatte. Wie man das so tut: in den Regen sehen. Unverdächtiger und gelassener konnte ein Mensch nicht sein. Dann ging sie los und verschwand nach einigen Schritten in dem Durchgang, der auf die Straße hinausführte.
    Mortensen verharrte noch minutenlang in seiner Position und überlegte, was er tun sollte. Sollte er ein Stockwerk hinauf oder eines hinabsteigen, um einen der Mieter aus dem Bett zu läuten und ihn zu veranlassen, die Polizei zu benachrichtigen? Um dann dieser Polizei jene unglaubwürdige Geschichte zu erzählen, einem Leser seiner Bücher bis hierher gefolgt zu sein? Selbst wenn man ihm dies abnahm, würde dennoch der Verdacht im Raum stehen, er, Mortensen, sei ein verrückter Spanner, der sich daran aufgeile, die sexuellen Aktivitäten seiner Leserschaft zu beobachten. Vielleicht würde man ihm sogar unterstellen, die Betrachtung des Mordes genossen und danach lange genug abgewartet zu haben, um das Entkommen der Täterin zu begünstigen. Oder was sonst noch so alles an kriminalistischen Spekulationen in Frage kam.
    Nein, er wollte sich einer solchen Tortur nicht ausliefern. Er wollte keine tausend Fragen nach seinem absonderlichen Verhalten beantworten, wollte sich nicht selbst in die Gefahr bringen, zunächst als Zeuge vernommen und dann

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